Prekär aus Leidenschaft

Bernadette La Hengst träumte vom großen Durchbruch. Der kam nicht. Also wurde sie zu einer rebellischen Lebenskünstlerin – und schreibt gegen die Resignation an.

Der Freitag, 04.03.2011 | Von Maxi Leinkauf

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Frau La Hengst, lassen Sie uns über das prekäre Leben reden …

Gern, das ist ja mein Lebensthema.

Sie plädieren in einem Lied für das Recht auf Faulheit.

Und in dem Lied Populistisches Paradies singe ich: ‚Ich möchte ein prekarisiertes, paneuropäisches, parasitäres, Papa-bezahlt-unser-Grundeinkommen populistisches Paradies.‘

Klingt nach Spaß-Bohème. Romantisieren Sie Ihr unsicheres Dasein?

Ich unterscheide zwischen frei­willigem Prekariat, und einer Existenz, in die man hineingestoßen wird. Bei mir ist es eher selbst gewählt. Hätte ich BWL oder Jura studiert, wäre meine Zukunft jetzt wohl gesicherter als als Musikerin.

Jemals ernsthaft über ein BWL-Studium nachgedacht?

Nee, ich habe mich relativ früh dafür entschieden, Künstlerin zu werden. Mit 16 wollte ich Schauspielerin werden, das hat nicht geklappt, da dachte ich: ‚Ihr Arschlöcher könnt mir doch nicht er­zählen, ob ich talentiert genug bin, auf einer Bühne zu stehen.‘ Dann habe ich mich gegen das Theater entschieden und fing an, mein Leben selber zu inszenieren, indem ich eigene Lieder schrieb.

Sie wollten frei sein?

Ich wollte ungern das Leben meiner Eltern nachspielen. Dabei war das gar nicht so spießig. Sie waren in den sechziger Jahren in Syrien und im Libanon, mein Vater war Orthopädie-Mechaniker und hat im Krankenhaus gearbeitet. Beide waren unkonventionell und ich konnte mich entfalten. Ich konnte die Spinnerin sein. Aber finanziell wurde ich nicht von ihnen ge­tragen: Meine Mutter ist früh gestorben, mein Vater ging pleite. Ich lebte am Rande des Existenzminimums und wünschte mir, dass ich entdeckt werde, dass mich jemand an die Hand nimmt und sagt: ‚Du bist eine wahre Künstlerin.‘

Aber es kam keiner.

Anfangs machte mich das wütend, aber dann wurde ich umso selbstbewusster. Ich habe früh ange­fangen, Straßenmusik zu machen, bin in den Ferien allein quer durch ­Europa gereist. Die Straße ist eine gute Bühnenschule, und ich musste mich dort mit Gitarre, Akkordeon und Gesang durch­setzen. Später stand ich mit der Gitarre in U-Bahnhöfen. Ich habe das richtig professionalisiert.

Ihre Auftritte?

Ja, ich wusste, zu welcher Uhrzeit und bei welchem Wetter ich ­welchen Song spielen muss. Ob die Leute auf dem Weg zur Arbeit sind oder gerade auf dem Heimweg, ob ich am Wochenende oder mitten in der Woche spiele. Mein größter Hit war: ‚It’s just another Manic Monday’: Natürlich ein Montagslied. Dann ‚Sunny’, ein 60er Jahre- Schlager, oder …

Was konnten Sie damit verdienen?

In der Stunde waren es so um die 20, 30 Mark. Dann fing ich an, in Bands zu spielen und abends in Kneipen aufzutreten. Wenn mich am nächsten Tag Leute aus dem Musikerumfeld in der U-Bahn spielen sahen, guckten sie ab­schätzig mit einem Blick, der sagte: ‚Ach, die kann also nicht von ihrer Musik leben, die muss sich hier prostituieren.‘ Ich wurde manchmal wie ein Bettler behandelt und beschimpft. Auch die Sprüche von alten Leuten und Kindern haben mich getroffen: ‚Geh doch mal arbeiten, such Dir ‚n Job‘ – solche Sachen.

Man behandelte Sie wie Dreck?

Ich war 20, blond, irgendwie ­charmant und konnte Gitarre spielen. Aber für manche galt ich ­trotzdem als Verliererin. Ich wusste halt oft nicht, wie ich die Miete zahlen sollte.

Sie gründeten dann ‚Die Braut haut ins Auge’, eine der ersten Mädchenbands in Hamburg.

Wir waren eine eingeschworene Gang und haben uns in Hamburgs männderdominierter Musikszene einen Platz geschaffen. Ich wurde von der Straßenmusikerin zu einer Song-Schreiberin, konnte mich besser ausdrücken und meine eigenen Geschichten erzählen. Das füllte mich aus.

Und wenn der Auftritt vorbei war?

War das oft hart … Die meisten Männerbands konnten damals schon von der Musik leben und mussten keine Jobs nebenbei machen. Die Plattenfirmen haben ihnen riesige Vorschüsse gezahlt. Bei uns war das anders, wir standen zwischen den Stühlen: weder Diskurs-Pop, noch Riot-Girls oder Pop-Mainstream. Unser Manager hatte uns gewarnt, wir sollen nicht zu viel Geld verlangen, damit sie uns nicht nach der ersten Platte wieder rauswerfen. Das haben wir akzeptiert.

Sind Männer durchsetzungs­fähiger?

Sie sind es gewohnt, sich wichtiger zu machen, mehr heraushängen zu lassen, was sie tun. Mit der letzten Platte wollten wir mit unserer Band unbedingt einen Hit haben und orientierten uns an den Charts. Wir wollten im Radio gehört werden und haben uns ziemlich verkrampft. Die Ent­täuschung war groß, als der Erfolg ausblieb. Wir befanden uns in einer Sackgasse und haben uns schließlich aufgelöst.

Was haben Sie daraus gelernt?

Zuerst hat es sich wirklich wie Scheitern angefühlt. Nach und nach haben sich mir aber neue Türen geöffnet. Ich habe in politischen Kollektiven mitgearbeitet, wie im Butt-Club in Hamburg, einem Debattierclub aus Aktivisten und Künstlern. Wir waren auch auf so genannten No-Border-Camps und gründeten die Agit-Prop-Straßentheater-Gruppe Schwabinggradballett …

No-Border-Camps?

Diese Camps finden an grenznahen Orten statt, dort treffen sich lauter Linke, die gegen Rassismus, Ausgrenzung, Abschiebehaft oder neue Grenzen demonstrieren. Sie versuchen auch mit künstlerischen Formen auf sich aufmerksam zu machen. Ich wollte Kunst mit einer politischen Botschaft verbinden.

Wie wurden Sie politisiert?

Seit dem Kosovo-Krieg Ende der Neunziger ging eine große Politisierung durch Hamburg. Alle in meinem Umfeld fragten sich: ‚Wie stehe ich zu dieser Militarisierung?‘ Als dann der Rechtspopulist Schill an die Macht kam, haben sich viele zusammengeschlossen, so ähnlich wie jetzt bei der Anti-Gentrifizierungs-Bewegung. 2003 habe ich in Hamburg ein großes feministisches Festival mit organisiert, das erste Lady-Fest in Deutschland. Das organisierten 50 Frauen, die Basisdemokratie übten und alles ewig ausdiskutierten.

Glauben Sie, dass jede Krise auch etwas Gutes hat?

Ich neige nicht zum Resignieren, das wäre zu bequem. Ich habe aus jeder Krise neue Erkenntnisse gewonnen, weil ich mich anderen Dingen widmete, auch um mich von der Frage abzulenken: Wovon soll ich leben? Ich zehre noch immer von dieser konkreten Beschäftigung mit der Welt. Das ist für mich die Uni, auf der ich nie war.

In Ihrem Theaterstück „Deutschlandmärchen“ äußert sich die Krise in ständigen Worthülsen von Angela Merkel.

Wir haben 200 Audiodateien aus dem Internet heruntergeladen und beim Anhören gemerkt, wie schwer Merkel zu fassen ist, wie emotionslos und maschinell sie ihre Phrasen abspult. Sie hat nicht einmal gelacht. Merkel möchte, dass alle noch mehr arbeiten und Sozialkürzungen hinnehmen, um stärker aus der Krise zu gehen. Mit diesem neoliberalen Arbeitsethos hat meine persönliche Krisen­überwindung natürlich gar nichts zu tun.

Sie geben auch unfreiwillig Prekären eine Stimme, indem Sie etwa einen Bettlerchor aus Hartz-IV-Empfängern, Bauwagenbewohnern und Flaschensammlern auf die Beine stellten.

Ich bin damals in Obdachlosen­heime und zu Sozialarbeitern gegangen, auf der Suche nach Menschen, die Lust haben, ihre Situation in Liedern zu verarbeiten. Ich merkte bei den Proben: Es ist keine homogene Gruppe, jeder hat seine individuelle Biographie. Ein junger Mann, Mitte 20, war beispielsweise gerade auf der Straße gelandet. Sein Leben wirkte anfangs wie selbst gewählt, er war intelligent, hatte angefangen zu studieren. Irgendwann konnte er nicht mehr in engen Räumen sein. Andere wohnen seit 15 Jahren auf dem Bauwagenplatz. Sie sind keine Obdachlosen, aber sie sagen, sie möchten nicht in einer festen Wohnung leben. Trotzdem leiden sie unter der Armut.

Wird es leichter, wenn man über seine Misere singt?

Nein, aber für die Gefallenen, die erst normale Existenzen hatten, dann arbeitslos geworden sind, familiäre Probleme bekamen und in eine soziale Randlage stürzten, war es ermunternd, gehört zu werden. Sie konnten selber etwas schaffen, ohne dass wir sie auf der Bühne vorführten.

Das wird vor allem den polarisierenden Stücken von Volker Lösch an der Berliner Schaubühne vorgeworfen, der auch mit Hartz-IV-Empfängern oder ehemaligen Strafgefangenen inszeniert.

Ja, und ich finde seine Aufführungen grenzwertig. Ich möchte die Laien, mit denen ich arbeite, nicht das Publikum anschreien lassen. Sie sind keine Masse, sondern Individuen. Ich suche die leisen Töne, die Brüche der Menschen. Sie sollen nicht als Opfer wahr­genommen werden.

Auch Sie haben mit Strafgefangenen gearbeitet. Wie kam es dazu?

Ich trat bereits in den Neunzigern als Musikerin im Frauen- und Männerknast auf. Das hat mich nie losgelassen, dass diese Leute in so ein Jugendgefängnis abgeschoben werden und das Gefühl kriegen, sie kommen nie wieder raus. Ich wollte mir diese Welt von innen anschauen und die Realität der Gefangenen auf die Bühne transportieren. Wir haben gemeinsam Songs entwickelt. Ein Lied, das die Gefangenen selber schrieben, hieß: ‚Es tut mir leid.‘ Es war erst als Witz gemeint, weil sie ja auf dicke Hose machen, keine Reue zeigen. Dann schrieb jeder eine Strophe und hat so seine Tat und seine Scham verarbeitet.

Aber wer schaut sich diese Stücke an? Sie haben etwa am Stadttheater Freiburg inszeniert, da sitzen doch nur die gutbürgerlichen Grünen-Wähler im Publikum.

Wir wollten das ändern und auch andere Milieus erreichen. Für Hartz-IV-Empfänger war es erst umsonst und später gab es er­mäßigte Karten. Und es saßen viele Freunde unserer Mitspieler im Saal. Als ich im Herbst eine Kooperation mit einem türkischen Theater machte, kamen viele aus der türkischen Community in Freiburg, die sonst nie ins Theater gehen.

Reden wir über Liebe und Geld.

Unbedingt.

‚Ich gebe dir mein prekäres Leben, doch du musst mir keine Versicherung geben…’, das klingt wieder so verträumt. Aber es ist doch schwieriger, sich bei jemandem fallen zu lassen, wenn man immer nur herumkrebst.

Absolut. Die Leute aus der Bettleroper können nicht am sozialen Leben teilnehmen, weder ins Kino gehen noch in der Kneipe sitzen. Wie sollen die überhaupt jemanden kennen lernen?

Wie ist das bei Ihnen?

Ich lebe gar nicht mehr so prekär. Im Moment kann ich von meiner Kunst gut leben, aber ich könnte nicht das nächste halbe Jahr faulenzen. Ich habe ja nichts Gespartes und keine Eigentumswohnung.

Kein reicher Mann in Sicht?

Mein Freund lebt von Hartz IV. Wir fragen uns oft: Können wir in den Urlaub fahren? Zahle ich ihn, oder bleiben wir hier? Er möchte nicht, dass ich ihn einlade. Er ist stolz. Aber so etwas kann niemals eine Liebesbeziehung zerstören. Ich höre immer von Paaren, die lange zusammen sind: ‚Man muss an Beziehungen arbeiten.‘ Mag sein. Aber ich möchte schwärmen dafür, wie jemand denkt und fühlt, wie er die Welt sieht.

Sind arme Männer denn sexy?

Erfolg macht Männer jedenfalls nicht erotisch.

Sondern?

So ein Glänzen in den Augen. Diese Arroganz, zu glauben, man sei etwas Besonderes. Das ist überheblich, aber schön und selbstbewusst. Wenn sie beseelt sind von dem, was sie tun. Womöglich suche ich auch ein Pendant zu mir selbst.

Sie haben auch eine 6-jährige Tochter. Ist die Tingel-Zeit vorbei?

Früher habe ich natürlich mehr Zeit in Kneipen verbracht. Meine Tochter ist nun seit einem halben Jahr in der Schule. Morgens um Viertel vor sieben aufstehen, das geht einfach nicht, wenn man bis nachts um drei säuft. Ich hab sie aber nur die Hälfte der Zeit, den Rest ist sie bei ihrem Vater. Der ist auch Künstler, das funktioniert gut.

‚Keine Abende vor der Glotze’, sangen Sie mal trotzig. Kann man das als Mutter durchhalten?

Ich habe einen Fernseher, und meine Tochter möchte immer gucken. Das muss ich beschränken. Wenn Ella im Bett ist, setze ich mich aber in die Küche an den Laptop und arbeite bis nachts um eins. Ich bin ein Arbeitstier.

Was ist mit der Altersabsicherung?

Oh Gott, dieses Absichern ist mir so fremd. Ans Alter denke ich schon, aber ich glaube immer noch, dass irgendwann der Erfolg kommt, von dem ich etwas zurücklegen kann.

Und wenn Sie krank werden …

… dann habe ich keine Sicherheit. Das ist meine Art von Prekariat. Aber die Freiheit, die ich dafür habe, ist auch eine Art Luxus.

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