Sex, Schweiß und Selbstironie

Ein Artikel von mir auf Spiegel Online über den „neuen Popfeminismus“ – zum hundertsten Mal versuche ich mich und andere zu erklären. Die Einleitung des Textes habe ich so nicht gesagt, und bei „Subversion durch Schönheit“ sind selbstverständlich alle Schönheitsideale miteinbezogen, also bitte nicht falsch verstehen, aber lest selbst …

Spiegel Online, 29.4.2008 | Von Bernadette La Hengst

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Der vulgäre „Vagina Style“ von Lady Bitch Ray und die offensive Sex-Sprache von Charlotte Roche sind eine feine Sache, meint die Sängerin Bernadette La Hengst. Damit kommt im Mainstream an, was der subkulturelle Pop-Feminismus schon lange fordert: Subversion durch Schönheit.

1990 kündigte die „Hamburger Morgenpost“ ein Dreier-Konzert von Die Braut haut ins Auge, den Mobylettes und HUAH (in allen drei vorwiegend weiblichen Formationen spielte ich mit) mit der Schlagzeile an: „Frauen kommen langsam – aber gewaltig.“ Dieser oft benutzte Slogan von Ina Deter und den lila betuchten Feministinnen der Siebziger war ein Stachel in unserem eher von Punkrock geprägten, weiblichen Selbstbild. Wir sahen uns nicht als Frauenband (zu altbacken uncool), aber auch nicht als Mädchenband (zu harmlos). Und überhaupt: Was sollte „kommen langsam, aber gewaltig“ eigentlich heißen? Wir waren doch da, im Hier und Jetzt, und zwar nicht langsam, sondern schnell! Und wir bestanden auf unserem Recht zu rocken.

Außerdem: Wie von der „Morgenpost“ auf eine rein sexuelle Ebene herabgewitzelt zu werden, nervte. Es ist ein Unterschied, ob eine Musikerin Sexwitze über sich selbst reißt, um schwanzfixierte Rocker und HipHopper zu entlarven – so wie es derzeit die Rapperin Lady Bitch Ray tut –, oder ob es sich um eine männlich-journalistische Zuschreibung handelt.

Aber sobald ein paar solche Frauen – wie derzeit besagte Bitch Ray, die wieder aufgetauchte Luci van Org oder auch die der Popkultur eng verbundene Neu-Autorin Charlotte Roche – sich offensiv sexualisiert selbst inszenieren, phantasieren die Medien eine „neue weibliche Welle“ herbei und tun so, als wären die Mädels vom Himmel gefallene Aliens. Um es klar zu sagen: Es ist wichtig, dass es solche weiblichen Role Models gibt. Aber es ist traurig, dass niemand erwähnt, dass sie alle in einer Tradition stehen.

Ein Gefühl von Postfeminismus

Trotz all der Rückbesinnung auf eine neue Bürgerlichkeit und konservativen Feminismus in den letzten Jahren, hat es jemand wie Lady Bitch Ray einfacher, sich als (nicht nur sexuell) provokative Künstlerin zu artikulieren und erfolgreich zu sein als noch vor 20 Jahren; denn sie beschreitet eine breite Straße der Selbstermächtigung, die andere Künstlerinnen gebaut haben.

Als die Riot Grrrl Bewegung in Hamburg ankam, traf uns alle der Schlag. So wie die Band L7 1990 im Hamburger Molotow rockten, hatte niemand zuvor gerockt: Tätowierte Frauen in zerrissenen Kleidern, Schweiß, Sex und selbstironisches Posing mit kreischenden E-Gitarren. Waohhh! Im selben Jahr spielte ich mit vier anderen Musikerinnen der Hamburger Szene ein Punk-Konzert. Wir standen nackt, aber ganzkörperbemalt auf der Bühne, so dass man erst beim dritten Blick unsere Nacktheit erkennen konnte. So würden wir die „Ausziehen! Ausziehen!“-Rufer aus dem Publikum verstummen lassen! Dachten wir zumindest – es funktionierte natürlich nur dieses eine Mal.

In Amerika schossen damals Bands wie Bikini Kill, Sleater Kinney, L7, Babes in Toyland oder Hole aus dem Boden, die mit zerrissenen Babydoll-Kleidern das vergewaltigte, aber zurückrockende Riot Grrrl verkörperten. Und auch in Deutschland gab es den Versuch, eine ähnliche Bewegung aufzuspüren. Leider gab es hier nur vereinzelte Bands wie Die Braut, Mobylettes, die Lassie Singers, die Lemonbabies oder die mainstreamisierten Tic Tac Toe und Lucilectric, die das erste Mal ein Gefühl von Postfeminismus verbreiteten. Die große Frage war nur: Post-was? Den Vorteil, ein Mädchen zu sein, kannten wir alle – nur war nie über die Nachteile gesungen worden. Stattdessen übersprangen viele diesen Part einfach und hievten den H&M-Style (Springerstiefel und Girlie-Outfit) in die Charts.

Und so kam es, dass ein Hamburger Journalist in einem Magazin schrieb: „Bernadette Hengst hüpft ohne BH über die Bühne, dass die Frauen im Publikum Phantomschmerzen haben.“ Der Autor dachte, er hätte meinen Humor getroffen. Er irrte: Wir wollten nie unseren Körper oder unseren Sex thematisieren. Aber wir wollten ihn auch nicht aus unserer Musik raushalten.

Worum es ging? Selbstverständlich das tun, was die Jungs machen, mal selbstironisch, mal naiv, mal bewusst politisch. Als sich die Braut 1999 auflöste, gingen viele Türen auf. Ich gründete eine Booking-Agentur, hauptsächlich für Musikerinnen (BH Booking, bezogen auf meine Initialen als auch auf das mir fehlende Kleidungsstück), und ich organisierte unter anderem die Tour zu der weiblichen Compilation „Stolz und Vorurteil“, die die ehemaligen Lassie Singers auf ihrem eigenen Label „Flittchen Records“ rausbrachten. Plötzlich ging es auch um Austausch unter Musikerinnen, um das Netzwerken, um Diskussionen, kurz: um den Versuch einer pop-feministischen Bewegung.

Subversion durch Schönheit

Als ich dann 2002 zum ersten Mal Le Tigre und Peaches zusammen auftreten sah, hatte das einen ähnlichen Effekt wie 1990 bei L7. Da war eine Aufbruchstimmung in der Luft, eine Widersprüchlichkeit, die alles in Atem hielt. Monatelang diskutierten die Hamburger Riot-Rockerinnen Parole Trixi und andere darüber, ob man sich so sexy zur Schau stellen sollte wie Peaches, und wie unglaublich kraftvoll Le Tigre ihre feministischen Botschaften in elektronische Popmusik verpackten.

Alle die neuen Musikerinnen (wie Rhythm King &Her Friends oder Chicks on Speed), die sich seitdem in der internationalen Elektropop-Szene ihren Platz geschaffen haben, retteten uns aus der Belanglosigkeit und Austauschbarkeit der Neunziger. Feminismus und Glamour gingen plötzlich zusammen. Mir war das immer klar gewesen, aber ich hatte es nie praktischer erlebt. Politik und Privates, Form und Inhalt, tanzten sexy miteinander auf der Bühne. Dabei ging es nie nur um Provokation, nie nur um Agit-Prop, sondern eher um Subversion durch Schönheit: Der Körper sollte eine Maschine sein, der unsere Ideen hindurchleitet. Und das ist er heute mehr denn je.

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