Der beste Augenblick – Interview: Indigo Notes

Indigo Notes, April 2002 | Interview: Ulrich Kriest

1999 trennten sich „Die Braut haut ins Auge“ nach neun erfolgreichen Jahren und Bernadette La Hengst gründete erstmal eine Booking Agentur. Jetzt hat sie auf Trikont ein Soloalbum mit einem Titel veröffentlicht, der so clever, schillernd und doppelbödig ist, wie das Material, das es darauf zu hören gibt: „Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen“. Ein großartiges Album (schwärm!), das zudem die schöne Gelegenheit bietet, unsere lose Reihe von Werkstattgesprächen zur Geschichte und Gegenwart der politischen Musik fortzusetzen.

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Ulrich Kriest: Bernadette! Jetzt, 2002, dein erstes Soloalbum. Erst jetzt oder doch noch?

Bernadette Hengst: Bei mir schließt sich damit ein Kreis in meiner Geschichte. Ich hab Solo angefangen - damals in Bad Salzuflen (veröffentlicht auf Kassettensamplern des legendären und doch völlig unbekannten „Fast Weltweit“ Labels) - und jetzt komme ich wieder dahin zurück. Es war an der Zeit, eine Platte zu machen, die ich von vorne bis hinten selbst bestimmt habe, um meine persönliche und musikalische Entwicklung auszudrücken und sie nicht durch eine Band zu verwässern. Die Welt ist so groß und der alltägliche Scheiß, mit dem man sich umgibt, so klein, daß man ab und zu mal auslüften sollte.

UK: „Der beste Augenblick …“ ist eine beeindruckende Songkollektion quer durch die Genres, vom rüden Pop zu Beginn bis hin zum puren Song am Schluss, von Lover´s Rock über Disco, Chanson Hip Hop bis Elektro Pop, dazu singst du in fünf Sprachen. Ein offener Text, vergleichbar vielleicht mit Knarf Rellöms „Bitte vor REM einordnen!“. Du sprichst mit vielen Ichs, oder?

BH: Auch „Die Braut“ war immer sehr spielfreudig, allerdings immer eingebunden war in diese Art von klassischer Rockband-Instrumentierung. Meine Plattensammlung erstreckt sich tatsächlich von Chansons über AC/DC oder 60ies Beat bis zu Hip Hop und modernem R`n B. Ich könnte dir nicht genau sagen, welche Musik ich am liebsten höre, das ist wohl der Grund für die Experimentierfreudigkeit. Außerdem ist mein Hauptinstrument gerade (außer Gitarre und Klavier) ein Sampler, auf dem ich die meisten Stücke komponiert habe. Diese Arbeitsweise läßt mehr Freiraum, weil ich weniger vom klassischen Lied als eher von Sounds, Rhythmen oder Klängen ausgegangen bin. Ich habe mich für die Vielseitigkeit entschieden, wollte auf keinen Fall eine langweilige Songwriter-Platte machen, auf der ich mich selbst bejammere und versuche, dasselbe wie vorher zu machen, nur ohne Band.

UK: Folgt das Album einer Dramaturgie? Etwa von Sie/Wir hin zu Ich / Du? Von den Big Politics hin zu Micropolitics?

BH: Im Gegenteil! Ich finde, daß ich mit dem Älterwerden eigentlich immer radikaler werde: Weg von der kleinen Ich-Geschichte, hin zu einer allgemein gültigeren Forderung. Eigentlich sehe ich meine Entwicklung von Ich/Du/die Band hin zu wir alle/die Welt/die Arschlöcher. Mein Gefühl seit ein paar Jahren ist, daß ich mich einmischen möchte, sowohl künstlerisch als auch in politischer Arbeit. Ich habe keine Lust, mich im Privaten gut einzurichten, wo doch so viele Dinge passieren, wegen denen man auf die Straße gehen sollte. Meine Absicht bei der Platte war auch, ein politisches Statement ohne Zeigefinger abzugeben. Dieser ganze Europa- und Berlin-Wahn, diese kriegstreiberische Politik der Bundesregierung, der angstmachende Sicherheitswahn, aus dem heraus ganze Länder bombardiert werden und einfach so die Hälfte der sozialen Einrichtungen gestrichen werden, macht mich wütend und handeln.

UK: Ein zentraler Satz auf dem Album scheint mir: „Bohemians sind nur charmant, so lang sie jung sind und verkannt.“ Ist das ein Reflex einer bohemistischen Midlifecrisis? Und der Albumtitel, gedruckt auf die Vorder- und Rückseite der Jewelbox, scheint mir auch erklärungsbedürftig…

BH: Der Titel ist eigentlich ein buddhistisches Zitat: „Wann war der beste Augenblick in deinem Leben? Genau jetzt.“ Der Titel der Platte soll darauf hinaus, daß dieser Augenblick jederzeit wiederkommt, immer, wenn man ihn wahrnimmt (z.B. beim Hören meiner Platte). Das ist kein Größenwahn, sondern eine Forderung an die Hörer, ihr Leben in die Hand zu nehmen und nicht an sich vorbei ziehen zu lassen. Es soll also gerade die Midlifecrisis verhindern, denn alles, was nur aus Sentimentalität oder Bitterkeit des Älterwerdens passiert, ist ein Hemmschuh. Natürlich gibt es auch Sentimentalität, alle meine Freunde wissen, daß ich eine sentimentale Sau bin, aber warum sollte man sich mit dem Satz „Bohemians sind nur charmant, so lang sie jung sind und verkannt“ zufrieden geben? Das ist schon Szene-Selbst-Ironie, aus der ich eine Lebensphilosophie und Forderung mache.

UK: Hört man „Die da oben machen ja doch, was wir wollen“, ist man etwas irritiert vom ironischen „uhhuh“ Blur-Zitat. Anders gefragt: Wie funktioniert deine Ästhetik?

BH: Wenn man etwa zu St. Pauli geht, weiß man, was dieses „Uhhuh“ von Blur für eine Kraft hat. Mein Lied ist eigentlich ein „Ton Steine Scherben“ Zitat, der Aufruf zur Revolution. Und die Revolte muß Spaß machen! Aber ich benutze nicht nur die Ästhetik der Scherben, ich meine das auch ernst. Das Lied ist ein Versuch, den 11. September in Worte zu fassen und vor allen Dingen alles, was danach passiert ist: Die Lähmung des durch die Medien provozierten Schmerzes, der vergessen macht, in welcher Welt wir leben, und daß die sogenannte Moral und Gerechtigkeit hinterfragt werden müssen. Denn sonst können „die da oben“ alles mit uns machen. Der Titel „Die da oben machen ja doch was wir wollen“ ist der „Titanic“ entlehnt, und ich finde, es trifft schön ironisch den Punkt. Denn wir lassen uns von der rot-grünen Regierung erzählen, daß ihre Konflikte um einen Kriegseinsatz die Zerrissenheit der deutschen Nation widerspiegeln, währenddessen sie schon längst die Entscheidung getroffen haben. Das ist keine Zerrissenheit, sondern manipulierte Demokratie.

UK: Stichwort: 80ies Revival, NDW. Du klingst mehrfach auffällig wie Annette Humpe, coverst brillant Tuxedomoon und recyclest auch sonst very merkwürdige Sounds of the Supereighties. Gibt es dazu was zu erzählen?

BH: Ich glaube, meine Stimme klang schon immer ein bischen wie Annette Humpe, jedenfalls kommt der Vergleich seit 10 Jahren. Das liegt wohl an meiner musikalischen 80er Sozialisation oder daran, daß es wenig Sängerinnen in Deutschland gibt, die relativ schnörkellos und direkt singen. Tuxedomoon’s „No tears“ war ein Hit meiner Jugend und ist gerade in den letzten Jahren so oft in Discos gelaufen, daß ich durchdrehenderweise immer wieder dachte, das ist ein Stück, was ich unbedingt covern muß. Außerdem mag ich die unsentimentale Hysterie der Aussage. Es gab letztes Jahr diese Remix CD von DJ Hell und anderen (die ich gar nicht gehört habe), aber ich muß ehrlich sagen, ich wußte das nicht, als ich das Stück aufgenommen habe. Manchmal schwirren Ideen wohl in der Luft und verschiedene Leute greifen sie auf.

UK: Wer ist eigentlich Sergej Jensen, der an deinem Album exponiert mitgearbeitet hat und auf „Silverstar“ so wunderschön cool einen Background allein aus Frauennamen zimmert?

BH: Sergej Jensen ist ein Maler und Musiker aus Frankfurt, mit dem ich ein paar der Lieder zusammen entworfen habe. Er hat bei einigen Stücken mehr Abstraktion in die Musik gebracht, worüber ich mich freue, denn die Musik braucht wie die bildende Kunst Einflüsse von außen. Damit ein Lied auch ein Klang wird und eine Farbe auch eine Nicht-Farbe werden kann. Die anderen Gäste sind auch entscheidend, u.a. Knarf Rellöm und DJ Patex, die dem Lied „Die da oben…“ ein kollektives Gefühl gegeben haben, Parole Trixi, deren „Die Definition von Süß“ ich auch produziert habe, Ted Gaier, mit dem ich das 10-köpfige Polit-Freejazz Kollektiv „Schwabinggrad Ballett“ gegründet habe und auch Swen Meyer, der die Platte mit mir in seinem 5 qm-Zimmer aufgenommen hat.

UK: Reden wir kurz über Film! Godard, „Elephant Man“ sind Referenzen auf dem Album, auch heißt es „Keinen Abend vor der Glotze!“ Was bedeutet dir das Kino? Du kommst gerade aus der 5Uhr - Vorstellung, was hast du gesehen?

BH: „El Acordeon del Diabolo“, einen Film über einen kolumbianischen Akkordeonspieler. Meiner Meinung nach viel besser als „Buena Vista Social Club“ (wo schon „Lagrimas Negras“ viel besser war), außerdem war ich gerade in Mexico und fühlte mich doch sehr daran erinnert. Ich gehe sehr oft ins Kino und schreibe auch über Filme, allerdings weniger aus der typischen Cineastenhaltung, sondern eher mit einem Faible für Kurzgeschichten. „Elephant Man“ ist natürlich auch ein Filmzitat, aber eher durch Zufall, denn ich habe den (oder einer der) echten Elephant Man in Lisboa gesehen. Er steht dort jeden Tag an der Straße, hält seinen Paß vor sein Gesicht, damit man nicht denkt, er hätte eine Maske auf und erbettelt sich seinen Lebensunterhalt. Mein Lied ist eher ein Gebet an den Elefantenmann, denn an sozialkritischem Schmuh bin ich nicht interessiert.

UK: Erzählst du mir was über die Covergestaltung?

BH: Die ganze Platte, auch das Cover entstand aus meinem kleinen neurotischen Hirn. Es war mir wichtig, diesmal nichts wirklich aus der Hand zu geben. Außerdem ist mein neues Hobby fotografieren (mit Digitalkamera). Die Fotos auf dem Cover habe ich mit Selbstauslöser gemacht. Ich wollte mit dieser typischen „Soloplatte“-Ästhetik brechen, in der die Person, um die es geht, einmal groß in wunderschön dargestellt wird, sondern eher mich als Kollektiv, ein Spiel mit mehreren Identitäten, die aber ein Ganzes ergeben.

UK: Gutes Stichwort. Für Doblers Cash - Geburtstags - Kompilation hast du gewissermaßen den Titelsong geliefert, nämlich „Ein Junge namens Gerd“. Was interessiert dich an Johnny Cash?

BH: Johnny Cash war mein Zugang zur Countrymusik, aber meine Überlegung zur Coverversion „Ein Mädchen namens Gerd“ (inspiriert von „A boy named Sue“) war eher, wie läßt sich der „Spirit“ eines Cash Stückes auf heute übertragen? Meine erste Idee war HipHop oder R´n B, die zweite Idee war, diesen leicht homophoben Humor (auf der „Live in St. Quentin“ - Platte gut zu hören) in einem Geschlechtertausch eher tragisch darzustellen. Die Tragik ist ja bei Johnny auch zu spüren, nur wird es im härtesten Männerknast Amerikas zum Schenkelklopfer. Deshalb auch mein Single Cover, auf dem ich meinen Kopf auf einen nackten Männerkörper setzte. Das Lied kriegt auf einmal einen feministischen Dreh und hat nichts mehr mit verschwitztem und behutetem Männercountry zu tun.

UK: Beim Durchhören des Album registriere ich: Revolte (Track 1), Utopie (2), Selbstverständigung (3), Politics (4), Retrospektive (5), Ideologiekritik (6), Satire (7), Utopie (8), Satire / Hommage / Ideologiekritik (9), Übermut (10), Hommage (11), ??(12), Deskription (13), Reminizenz / subjektiver Faktor (14). Wie tragfähig sind 2002 noch die hundertfach durchreflektierten Strategien der Subversion? Dein Ex- Labelmate Rocko Schamoni („Showtime“) erzählt in diesem Sommer via Virgin „Geld ist eine Droge“, dabei sind gerade die Major Companies gerade ziemlich auf Turkey.

BH: Der Musikindustrie geht es so schlecht, daß man sich nicht darauf einlassen kann im Moment. Es ist ein sinkendes Schiff, auf dem man noch mal einen Champagner schlürft, bevor es endgültig untergeht. Ich weiß nicht, wohin die Reise geht, aber ich möchte mich im Moment eher auf Strukturen verlassen, die überleben können, ohne sich zu verkaufen. Netzwerke bilden, besonders unter Frauen, denn Männer haben genug Netzwerke gebildet. Ich glaube nicht an die Musikindustrie, ich glaube an meine künstlerische Kraft und an die Weiterentwicklung.

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