Multi-Kulti als Theatershow: Die Integrette haut ins Auge

„Integrier mich, Baby!“ heißt der Abend von Bernadette La Hengst, mit dem sie in Hamburg die Diskussion um das Einwanderungsland Deutschland aufmischen will. Im Gegensatz zu vielen anderen weiß die Musikerin und Regisseurin, wie sich Multi-Kulti in der Praxis anfühlt.

Spiegel Online, 19.10.2011 | Von Anke Dürr

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Ganz Deutschland hat Angst vor seiner Abschaffung. Ganz Deutschland? Nein! Ein kleines, unbeugsames Häufchen Aufrechter sieht das Szenario eines ehemaligen Berliner Finanzsenators, nach dem 2033 nur noch zwanzig Prozent aller Deutschen wirklich Deutsche sind, also ohne Migrationshintergrund, als Versprechen. Motto: Wenn alle Deutschen so sind wie Sarrazin, dann lasst uns bitte nicht mit ihnen allein.

Was also, wenn der Ex-Senator Recht behält? Dann, so erträumt es sich die Künstlerin Bernadette La Hengst, früher in Hamburg, jetzt in Berlin wohnhaft, müsste das Fünftel Rest-Deutsche in diesem Land zum Integrationskurs, um sich in der multikulturellen Gesellschaft zurecht zu finden. Für La Hengst, 43, ist das eine Utopie, die sie in ihrer Show „Integrier mich, Baby!“ in Hamburg schon mal wahr werden lässt. Premiere ist am kommenden Sonntag.

Drei Lehrer gibt es in ihrem „multi-musikalischen Integrations-Diskurs für alle“, sie stammen aus Nigeria, Kolumbien und der Türkei und haben bereits Erfahrung mit Integrationskursen herkömmlicher Art. Alle drei sind Laien, die La Hengst in einem Integrationskurs der türkischen Gemeinde in Hamburg-Altona getroffen hat. Jetzt drehen sie den Spieß um und leiten in der Garage des Thalia in der Gaußstraße, einer Nebenspielstätte des Thalia Theaters, einen Kurs, in dem nicht Wissen über deutsche Geschichte abgefragt wird, sondern die „Geschichte der Wanderung im Wandel der Zeit“. Kurs-Teilnehmer sind die Zuschauer, Lernziel ist das Erreichen einer „neuen Hyperkultur“. La Hengst tritt auf als „Integrette“, eine Art „Super-Heldin der Integration“.

Damit das Ganze nicht zu didaktisch wird, wird auch viel Musik gemacht. La Hengst hat die Texte dazu selbst geschrieben, Ehrensache, schließlich begann ihre Künstlerinnen-Karriere als Musikerin der „Hamburger Schule“. Mit der Band „Die Braut haut ins Auge“ brachte sie es in den Neunzigern zu einiger Berühmtheit; seit 2000 hat sie drei Solo-Alben veröffentlicht.

Wer ist überhaupt fremd, wer deutsch?

Dass es sie wie andere Musiker (z.B. Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun) in die Theaterlandschaft verschlagen hat, liege daran, „dass man seit dem Einbruch des Musik-Business von der Musik allein nicht mehr leben kann“, gibt La Hengst unumwunden zu. „Und die Theater erhoffen sich von uns einen neuen, frischen Blick.“

So soll „Integrier mich, Baby!“ denn auch kein klassischer Theaterabend werden, sondern eine bunte Show im Rahmen der kleinen Reihe „Goldene Hochzeit“, die „50 Jahre Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei“ feiert. Ein Spektakel mit ernstem Hintergrund, bei dem es La Hengst um Fragen geht wie die, „warum wir hier immer noch von Gastfreundschaft reden, wo es doch eigentlich um Bürgerrechte geht“.

Und wer ist überhaupt fremd, wer deutsch? Schon bei ihren Protagonisten sei das kompliziert, sagt die Regisseurin: Der türkische Dozent ist als Kind in der Türkei geblieben, während seine Eltern in Deutschland arbeiteten. Er kam erst als Erwachsener nach Deutschland, während seine Eltern wieder in die alte Heimat zurückgekehrt sind. Und die Kolumbianerin wurde zur Ausländerin, weil ihr jüdischer Großvater aus Deutschland emigrieren musste. Auch diese Geschichten werden bei „Integrier mich, Baby!“ erzählt, allerdings von den Schauspielern des Thalia Theaters, die bei der Show mitwirken und die alle ohne erkennbaren Migrationshintergrund sind. „Der Abend ist auch ein Spiel mit Identitäten“, sagt die Regisseurin.

Im Gegensatz zu vielen anderen aus ihrem Milieu findet La Hengst Integration aber nicht nur in der Theorie und auf der Bühne gut. Sie wohnt in Berlin-Mitte, am Rand zum Wedding, und ihre Tochter ist in der zweiten Klasse einer jener Schulen, die gern als Beispiel für das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft angeführt werden: Mehr als 80 Prozent der Schüler haben hier einen „Wanderungshintergrund“, wie La Hengst es nennt, weil andere das Wort Migration zu einem hässlichen Wort gemacht haben. Die meisten Eltern im Viertel seien nicht bereit gewesen, sich auf diese Schule einzulassen, erzählt die Regisseurin. Sie und ihre Tochter hätten bisher gute Erfahrungen gemacht.

Vermutlich ist es andersrum genauso; die anderen hat allerdings keiner gefragt.

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