Kill Your Idols

Von einem Role-Model das keines ist, weil es eines ist. Oder so ähnlich.

fiber, Mai 2006 | Von Stephanie Kiessling

--

Auch wenn sich die Kritiken zu Bernadette La Hengst neuer Platte „La Beat“ förmlich vor Begeisterung überschlagen - das perfekte Role-Modell für junge Mädchen (laut Brigitte 10/05) bleibt gelassen. Vereinnahmungslogiken gegenüber – sei es als Frau im Musikbusiness oder als deutschsprachige Popmusikerin - verhält sie sich konsequent resistent. Eine Annäherung an eine faszinierende Musikerin von Stephanie Kiessling.

„Ich bin jede Frau, ich bin eine von euch,
ich bin so wie ihr, und dennoch sind wir nicht gleich,
mal ein Alpha- und mal ein Herdentier,
als Teil einer Gruppe, genauso wie ihr …“

Den Neigungen eines „pathetischen Kindes“ entsprechend, wie sich La Hengst augenzwinkernd selbst beschreibt, erhält sie ihre erste musikalische Ausbildung im kirchlich-choralem Umfeld ihres kleinen ostwestfälischen Heimatdorfes. Mit 14 bringt sie sich als Autodidaktin Gitarre und Akkordeon bei und tingelt alsdann als jugendliche Straßenmusikerin durch Europa und lernt dabei „laut zu singen und das Publikum auf sich aufmerksam zu machen“.

Ende der 80er Jahre, mit 17 Jahren wird sie als einziges Mädchen Teil des Bad Salzufleners Labelskollektivs „Fast Weltweit“ rund um Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Frank Spilker (Die Sterne) und Bernd Begemann: „Wir haben Kassettensampler rausgebracht und waren auf Tour. Jeder hat beim anderen in der Band mitgespielt und wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt. Es waren die ersten richtigen Indie-Strukturen - wie schafft man etwas ohne Majorfirmen, ohne große Beziehungen. Daraus sind ja dann auch viele Bands entstanden, die mittlerweile sehr erfolgreich sind.“ 1990 landet sie schließlich in Hamburg und gründet u.a. die Frauenband Die Braut haut ins Auge, die sich 1999 auflöst. Seit 2004 lebt La Hengst mit ihrer mittlerweile zweijährigen Tochter in Berlin und ist als Solomusikerin und Performerin aktiv.

Festlegen auf das, was sie nun aber primär sei - Musikerin, Schauspielerin, Perfomerin - will sie sich nicht, auch wenn die Musik jenes Mittel ist, mit dem sie sich im Moment noch am Besten ausdrücken kann: „Aber zur Musik gehören auch immer andere Dinge, man kann nicht nur einfach aus sich heraus Musik produzieren, so könnte man nicht mal Emotionen ausdrücken. Dazu muss man bestimmte Dinge erlebt, eine Geschichte haben und sich für die Welt interessieren.“ Und dieses „sich für die Welt interessieren“ zeigt sich sowohl in ihrer bewegten Biografie als auch in ihrem gegenwärtigen Engagement für eine Vielzahl an künstlerischen - und immer auch politischen - Projekten.

So schreibt sie u.a. Songs für die KünstlerInnengruppe „Unos United“, die als offiziellen Fußball-WM-Beitrag - ausgehend vom Massenwahn und Fanatismus - die Selektion von Nationen durch die WM-Ausscheidungslogik mit der Auslöschungs- und Vernichtungsideologie des Nationalsozialismus in Beziehung setzen. Oder sie ist Teil des mobile Agit Prop Kommando Schwabinggrad Ballett aus Hamburg, das öffentliche Plätze bespielt, „um Verwirrung zu stiften, Formen aufzubrechen, zu politisieren, zu reaktivieren.“ Weder Kunstkacke, noch ‚Schwarzer Block’, wie auf ihrer Webseite zu lesen ist.

„… doch ich bin nicht Jesus, versteht mich nicht falsch,
ich kenne eure Schmerzen, doch ich trage kein Kreuz,
ich hab keinen Rat und auch keinen Trost,
und ich bin auch nicht eurer Mutter Schoß.“

Trotz Forderungen á la „Her mit der Utopie“ idealisiert La Hengst die Welt nicht, sie beschreibt sie in kritischer Distanz ohne jedoch jenen grundsätzlichen Optimismus, die Überzeugung dass diese Welt doch zu ändern ist, zu verlieren. Auch ihre Tätigkeit als Coach und Produzentin im Rahmen des Projekts „Sisters“ für junge Nachwuchsmusikerinnen zeugen vom diesem Engagement. So beschreibt der Song „Wissen was“ ihre dabei gesammelten Erfahrungen und den beobachteten Mangel an Positioniertheit bei den jenen Mädchen, die heute zwar die Möglichkeit haben, Musik zu machen, sich aber nicht mehr „die Füße abstrampeln müssen ‚gegen etwas’“. Verwöhnte Wohlstandsgören also?

„Es ist ihnen quasi in die Wiege gelegt, frech zu sein, irgendwie was ‚dagegen’ zu machen. Aber es ist eben kein ‚dagegen’ mehr, sondern es ist gleich ein perfekt produzierter Popsong. Da habe ich mich gefragt ‚Schade, was machen die mir ihrem Talent?’ Die haben schon Wut, die haben schon Interesse an der Welt, aber ihre Vorbilder sind doch im Mainstream verankert. Da habe ich bemerkt, wie wichtig es ist, sich der Frage zu stellen: Wissen was man will und wissen, was man nicht will.“ Dieses Wissen und die damit möglicher Weise verbundenen Widersprüchen zur Welt beschreibt La Hengst als eine zentrale Voraussetzung für ihr eigenes musikalisches Schaffen.

„Ich bin jeder Mann, nur dass ihr es wisst,
ich fühl mich für euch alle verantwortlich,
und das ist hier kein Gender Studies Projekt,
nein, es geht um gegenseitigen Respekt …“

Dem gemäß stemmt sich La Hengst auch jenen Konzepten des bürgerlichen Lebens entgegen, die mit zunehmendem Alter und vor allem dann, wenn Kinder ins Spiel kommen immer einengender und dominanter werden. Dies drückt sich nicht nur musikalisch aus („Ich will nicht mehr entscheiden müssen zwischen Scheiße und Scheiße“ in: „Her mit der Utopie“) sondern auch im Versuch, der Prekarisierung des eigenen Lebens etwas Positives abzugewinnen: „Das Unsichere, das Prekäre der Situation bedeutet ja auch manchmal eine Art von Entscheidung gegen das Konformistische, das Arbeitsalltagsleben.“ Vielleicht eine gewagte These angesichts der existenzbedrohenden Verhältnisse, in denen sich KünstlerInnen - und nicht nur sie - zunehmend bewegen müssen: Den Mangel an Existenzabsicherung als Freiheit von Zwang und (Dienst-)Pflicht deuten?

So präzisiert La Hengst diesen Gedanken als einen Versuch, „aus dem Provisorium leben“ zu einer positiv besetzten Philosophie zu machen: „Mein Leben ist ungesichert, aber ich will trotzdem dieses Leben weiterführen. Ich weiß nicht immer unbedingt, was in den nächsten drei Monaten passiert, trotzdem muss ich meinem Kind ja eine Art von Sicherheit geben. Sichere Liebe, einen sicheren Ort - wobei, bei letzterem bin ich mir nicht mal so sicher. Das meine ich auch mit meinem Song „Rockerbraut und Mutter“ - es geht nicht darum, das ich (als Mutter) auf der Bühne stehe, sondern um ein bestimmtes Lebensgefühl von Unsicherheit, vom Nicht-Genau-Wissen, wie es in der Zukunft ist. Das ich das ‚In Bewegung bleiben’ beibehalten kann, weil es zu mir gehört und meine Ideen weiter ausprobieren und trotzdem Mutter sein kann.“

„… kein Eso-Emo-Therapie-Scheiß,
nein, ich steh nicht auf die neue Gefühligkeit,
da muss man ganz genau differenzieren,
und dennoch bin ich ein Teil vom diffusen großen Wir.“

Als Soulsängerin, die die Deutschen gar nicht verdient hätten, wurde La Hengst in der „Jungen Welt“ bezeichnet und Demut vor ihren Songs - „den besten Pop-Songs in deutscher Sprache seit langem“ eingefordert. Auf diese Lobeshymnen abgesprochen merkt La Hengst beinahe verlegen an, dass die tatsächlich fast etwas peinlich seien, nicht ohne hinzu zu fügen: „Dennoch ist ein Artikel auch immer eine Sache von gezolltem Respekt. Natürlich darf man nicht zuviel drauf geben, weil sonst leidet man ja nur noch, wenn man den ganzen Scheiß liest, der sonst noch geschrieben wird. Aber es ist wie mit verkauften Platten - sie zollen auch Respekt für die Arbeit, die man gemacht hat.“ Und die Reduktion auf weibliche oder deutschsprachige Musikerin findet sie schlicht zum Kotzen. So hat sie der „Stern des Jahres 2005″ doppelt gefreut, der ihr von der Münchner Abendzeitung für die beste „Popmusik 2005″ verliehen wurde - ganz ohne irgendwelche einschränkenden Zusätze.

„Ich bin jedes Kind, und natürlich ist das
meine kühnste Behauptung, und es macht mir Spaß,
mir vorzustellen, wie es wäre, wenn
ich noch mal 10 wäre als die, die ich jetzt bin,
mit dem Wissen um das Böse und um das Geld,
und dem unschuldigen Glauben, daß die ganze Welt
noch zu retten ist, wenn ich es so will,
mit unserem paradisischen Wohnmobil.“

Musikalisch hat sich La Hengst mit ihrer letzten Vinyl 7″ Veröffentlichung „Nie mehr vor Mittag“ wieder stimmigeren Seiten zugewandt. Die vier Stücke „Nie mehr vor Mittag“, „Wilder Mann“, „Mann mit Hang zur Depression“ und „Bar Europa“, alle aus verschiedenen Schaffensperioden, wurden live und nur mit E-Gitarre und Gesang aufgenommen. Anders als die elektronisch-verspielteren, mitunter chansonartigen Lieder auf „La Beat“ wird hier auf zusätzlichen Maschineneinsatz verzichtet. Vorteil dieser Mittelreduktion ist die Konzentration auf La Hengsts Stimme. Überhaupt: Die Beschreibung von La Hengst als Soulsängerin erklärt sich vielleicht am besten mit einem Vergleich mit der stimmmächtigen Sängerin Beth Ditto der us-amerikanischen Band The Gossip. Nicht wirklich Soul aber doch etwas anderes als Rock.

La Hengst würde das gewiss freuen: Nicht nur, dass sie ihr Konzert in Wien mit einem Song von The Gossip einleitete, sie outet sich im Interview auch als großer Gossip-Fan: „Die neue Platte hat mir den Glauben an die Rockmusik zurück gegeben“ gesteht sie lachend: „Ich kann Indierock einfach nicht mehr hören, ich finde es sterbenslangweilig. Aber bei The Gossip ist es so schön minimal, entweder Gitarre oder Bass und eben nicht rockig.“

Aber nicht nur stimmlich sind live gewisse Ähnlichkeiten festzumachen, auch die Bühnenpräsenz von La Hengst ist vergleichbar leidenschaftlich und mitreißend wie jene von Beth Ditto. So schaffte es La Hengst, dass sich bei ihrem Auftritt im März 2006 das für seine Coolheit bekannte Chelsea-Publikum unter ihrer musikalischen Tanzanleitung beglückt am dreckigen Boden des Chelsea wälzte. Und während die hingerissenen ZuseherInnen Bernadette La Hengst als ihr neues Role-Model, als Idol auserwählten, sang diese unbeeindruckt und beschwingt weiter:

„Kill your idols, kill your idols,
kill your idols, now!“

Bernadette La Hengst live:

Im Rahmen des feministischen Musikfestivals rampenfiber gibt Bernadette La Hengst am Samstag, den 30. September 2006 im Wiener fluc ein Konzert. Am Tag zuvor nimmt sie, ebenfalls im Rahmen von rampenfiber, an der Podiumsdiskussion „To be famous is so nice“ teil. Am Montag, den 1. Oktober 2006 spielt Bernadette La Hengst beim Festival „Rage Against Abschiebung“ in München.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.