Unterhaltsame Unterweisungen

„Alles muss man selber machen – z.B. Globalisierung“ in den Sophiensaelen

Berliner Zeitung, 8.11.2003 | Von Ulrich Seidler

Im Laufe des Abends singt das Theaterpublikum zur Auflockerung und zur Melodie von „Mein Hahn ist tot, mein Hahn ist tot“ den aus einem Wort bestehenden Text: „Strukturanpassungsmaßnahmen“. Statt „Koko, koko, koko, kokodi, kokoda“ in der dritten Zeile also: „Struktur-, Struktur-, Strukturanpassungsmaßnahmen“. Im Kanon.

Auflockerung tut Not, denn das Auditorium hat gerade die ökonomische Entwicklung seit Adam Smith beigebracht bekommen. Die drei Dozenten – also die Bernadette (Bernadette Hengst), der Jochen (Jochen Roller) und die Claudia (Claudia Wiedemer) – bauten aus beschrifteten und bebilderten Bananenkisten ein kreuzförmiges Tafelbild zusammen, das mit roten Kerzen und einem Ährenbündel zum Altar geweiht wurde. Allerdings: Die Leuchten funktionierten elektrisch, und das Getreide war genmanipuliert.

Weil heute (vergangenen Donnerstag) Premiere sei, mache es der Jochen einfach mal: „Das System mit dem Liberalismus zerstören!“ Er nimmt den „Liberalismus“-Karton, steuert den Altar an, karamboliert, fällt das Kreuz und selbst hin. Er hätte gern noch über die GATT-Verhandlungen gesprochen, bei denen es um die Liberalisierung von Dienstleistungen gegangen sei. Und der Abend „Alles muss man selber machen – z.B. Globalisierung“ (Inszenierung: Matthias von Hartz) in den Sophiensælen, dieser Abend sei ja, so bemerkte der Jochen, prinzipiell auch eine Dienstleistung. Subventionen wären dann verboten, und nichts und niemand würde eine keniatische Theatergruppe daran hindern, solche Dienstleistung zum halben Preis anzubieten. Auch so ein Beispiel.

Matthias von Hartz wolle niemanden schockieren, sondern Leute ins Theater holen, die sonst nicht hingingen. „Ob das dann noch Theater heißen darf, ist mir egal“, wird der Regisseur im Fachblatt Theater der Zeit zitiert. Bei „Alles muss man selber machen“ handelt es sich aber eher um eine Akquirierung von vergnügungssüchtigen Theaterzuschauern für den Protest gegen die Ungerechtigkeiten der Globalisierung.

Der Abend verläuft nach dem Muster der gerade um sich greifenden Theaterform, der so genannten Performance-Lecture oder Lecture-Performance, sagen wir: Vorlesungstheater oder Unterrichtsshow. Nachdem man nämlich mithilfe der frischen Obstkistenagitation von der ökonomischen Grund-Ungerechtigkeit der Welt in Kenntnis gesetzt wurde, folgt in Gruppenarbeit die praktische Unterweisung. Man wird im Umgang mit Blockade-Hilfsmitteln geschult, erfährt, wie man vermittels Abflussrohr zum Beispiel einen Flughafen außer Betrieb setzen kann. Es hängt eine Broschüre zur Ansicht aus, aus der hervorgeht, wie man sich fachgerecht einbetoniert. Am Verkaufsstand kann der Zuschauer Produkte erwerben, die die Globalisierung ins Bewusstsein heben sollen: Zum T-Shirt mit dem Aufdruck „Kinderarbeit“ bekommt man ein Erinnerungsfoto von einem Kindarbeiter seiner Wahl dazu. Zusammen für 12 Euro. Wer möchte, kann gemeinsam mit einem Dozenten einen 5-Euro-Schein (aus eigener Tasche versteht sich) verbrennen und erfahren, wie es sich anfühlt aus der Geld-Wert-Logik auszubrechen. Macht 5 Euro.

Der Unterricht ist didaktisch hervorragend austariert: Der Ausführung des Themas folgt die Anschauung am Beispiel, Modelle und Experimente kommen zum Einsatz, die Dozenten zeigen Dias von ihren Recherchereisen, tanzen zur Abwechslung etwas vor oder fabrizieren Popmusik mit Original-Protest-Geräuschhintergrund. Alles sehr originell und einprägsam. Und die Pose der Ironiefreiheit fungiert als erprobte Lachnummer. Mit den Mitteln des Zynismus wird der Zynismus der Welt angeklagt, so wie sich aus dem Kampf gegen den Liberalismus Geschäfte schlagen lassen, deren Gewinne wiederum in den Kampf gegen den Liberalismus investiert werden könnten.

Nachdem Wolfgang Engel, der Leipziger Intendant, Hartz’ „Pussy Talk“ gesehen hatte, verzichtete er auf weitere Zusammenarbeit. In dieser Zeitung, aber nicht in diesem Zusammenhang sagte Engel: „Wir haben sehr gute Leute, die sich hier entwickeln konnten. Es kommt aber auch vor, dass ich unten sitze, eine Woche vor der Premiere, und denke: Ist das jetzt Scheiße oder ist das ein neuer Ansatz?“ Tja: Alles muss man selber entscheiden.

Alles muss man selber machen Sa., So., sowie 12.-16. Nov., 20 Uhr, Sophiensaele

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