WOZ Musikbeilage, Juni 2002

Eine Bestandsaufnahme über Feminismus und Selbstverständnis mit Sandra Grether (Parole Trixi), Bernadette La Hengst (Ex- Die Braut haut ins Auge), Katrin Achinger (Ex- Kastrierte Philosophen), Melissa Logan & Alex Murray-Leslie (Chicks on Speed)

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Sandra: Wenn Musikerinnen ihre Aggression, aber auch ihre Gebrochenheit rauslassen und dazu noch inhaltlich stark und klug sind, werden sie als kontroverser wahrgenommen als wenn Musiker das gleiche tun. Ich denke, dass Frauen diejenigen sind, die der Rockmusik die verlorene, „subersive“ Kraft zurückgeben können/sollen.

Bernadette: Wenn sich Frauen herausnehmen, sich in einer Männer-dominierten Welt lautstark zu Wort zu melden, ist das an sich schon eine Konfrontation mit den Gegebenheiten. Es wäre nur furchtbar, wenn das einzige, was übrig bleibt, diese weibliche Provokation wäre. Das reicht nicht, und bringt den Feminismus auch nicht weiter.

Katrin: Dem Opfersein verhaftet, das fände ich mittlerweile auch zu bequem. Wir müssen schon auch was bringen, was über das Thema hinaus geht, sonst wirds langweilig. Außerdem führen weibliche Künstlerinnen die Charts an, also den Mainstream. Wo bleibt da die Konfrontation?

Alex: Ich finde es erfrischend, eine Frau auf der Bühne zu sehen, weil es so wenig gibt im Musikgeschäft, und weil wir alle Role Models und Idole brauchen. Manche Leute nennen es konfrontativ, wenn sie eine Frau auf der Bühne sehen, mit einem Kostüm und Make up, die sich die Seele aus dem Leib brüllt. Ich verstehe nicht, was daran konfrontativ sein soll, es geht doch um Spaß haben auf der Bühne.

Melissa: In den frühen 70ern schien es für eine Menge Künstlerinnen notwendig zu sein, sich in einer sehr radikalen Weise auszudrücken, weil sie dachten, wenn sie es nicht tun, würde ihnen niemand zuhören. Natürlich profitieren wir alle von ihrer harten Arbeit.

Bernadette: Ich merke gerade, daß auch Schönheit, sowohl äußerliche als auch gesangliche und musikalische sehr subversiv sein kann, weil es zu Mißverständnissen führt. Es gibt immer noch eine Menge Leute, die meinen, Subversivität müßte nur depressiv oder zerstörerisch daher kommen. Daß Rebellion und die Kritik an den Verhältnissen auch Spaß machen kann und sogar muß, damit es Menschen bewegt, halte ich für sehr wichtig und insofern auch für subversiv.

Alex: Ich will, daß das was wir machen, akzeptiert und zum Mainstream wird. Wir sind hier, um Konkurrenz zu machen im „Big Business of Music“.

Melissa: Das, was wir machen, ist sehr subversiv, aber es funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Wir möchten eine glatte Oberfläche schaffen, und für die, die sich weiter wagen, gibt es die Tiefen des Drecks, der Seltsamheit, die immer voraus läuft und dich einsaugt wie Treibsand.

Sandra: Ich bin unendlich und untröstlich fasziniert von mädchenhaftem Kindheitskram wie Blümchen-Shirts, Herzchenaccesoires, Puppen, rosa, rosa, rosa… Und kann nicht anders, als das in Kleidung und Bandästhetik einfliessen zu lassen. Für mich persönlich bedeutet das die Rückaneignung meiner eigenen Kindheit, allgemein signalisiert es vielleicht, dass die Sozialisation von Mädchen nicht kulturell wertlos ist, wie uns oft weisgemacht werden soll.

Bernadette: Als einziges Mädchen neben zwei älteren Brüdern spielte ich immer eine Doppelrolle, zwischen mädchenhaftem Kleidungsstil und jungshaftem Gehabe auf der anderen Seite. Ich wollte immer besser, schneller, stärker sein als die Jungs, und das drückte sich natürlich auch in Kleidung, Körperhaltung, Musik, Freiheitsdrang aus. Ich bin immer noch hin und her gerissen zwischen den weiblichen und männlichen Polen in mir und das fließt natürlich in meine Arbeit ein.

Alex: Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich wirklich über Mode nachdachte, am Tag, als meine Mutter mir ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Vogue“ gab. Dadurch dachte ich über „Logo“, „Brand“, „Style“, „Cool“ und über all die Dinge nach, die fremd für mich 7jähriges Mädchen waren. Und später überlegte ich, wie ich mir mein eigenes wichtiges Logo mache, ohne mich darauf zu verlassen, daß irgendeine Firma mir meine Identität gibt.

Melissa: Ich denke, daß eine Menge an Feminismus bedrückend ist und updated werden sollte, weil es um Freiheit geht und nicht darum, so smart zu sein, daß keiner dich versteht oder so tief zu sein, daß man in sein eigenes schwarzes Loch fällt. Ich glaube, „the beauty myth“ (Naomi Wolf) kann man auf viele Teile der Gesellschaft beziehen, aber: nehmt diese „Fashion victim paris shoes“ und geht damit durch die Tür, als gehörte euch die Stadt!

Sandra: Es erfordert nach wie vor viel (Pionier-)Arbeit und Kraft, wütenden weiblichen Rockgesang mit deutschen Texten als etwas „alltägliches“ und facettenreiches etablieren zu wollen.

Bernadette: Ich bin als Sängerin kein anderer Mensch als im normalen Leben. Singen ist für mich das normale Leben. Das heißt, ich kann klar sein, wütend, sentimental, gebrochen, durchgedreht und auch sehr witzig.

Melissa: Ich würde es nicht Gesang nennen, es geht eher darum, die Bühne zu benutzen, den Raum zu füllen, mit dieser seltsamen Spannung zu arbeiten, die zwischen Bühne und Publikum besteht, es ist ähnlich, wenn jemand einen Vortrag hält, Kommunikation ist nicht so straight, daß jemand nur Informationen präsentiert, es sollte genauso gezeigt werden, daß die Informationswelten sich an andere Orte bewegen.

Sandra: Es wäre für mich ohne weibliche Vorbilder absolut undenkbar gewesen selber eine Band zu gründen. Im Endeffekt orientiere ich mich aber, wenn es um Gesang, Texte, Gitarre geht - bis auf wenige, mir aber sehr wichtige Musikerinnen - doch eher an Männern. God knows why.

Bernadette: Mein erstes Gesangsvorbild mit 5 Jahren war das geschlechtslose Hündchen Friedolin aus einem Musical für Kinder. Drei Jahre später kam der Vorsänger unserer Kirche in den Stimmbruch und ich mußte von da an 3 Jahre das Vaterunser alleine in der Kirche singen. Als ich damit durch war, wollte ich so singen wie Rio Reiser, so Gitarre spielen wie Chuck Berry und so rocken wie L7.

Katrin: Meine Gesangsvorbilder sind fast ausschließlich Frauen. Ist kein Konzept, sondern näher an meinem Leben dran. Ich höre nicht mit dem Kopf.

Alex: Ich bin sowohl von Männern als auch von Frauen geprägt: Nick Cave, Nico, Blondie, Mark E. Smith, Gudrun Gut, Miss Kittin, Nicola from Adult.

Melissa: Ich bin sehr inspiriert von: Virginia Wolf, Banana Yoshimoto, Stewart Home, Mimiyo Tomozawa (Ich hab sie gerade in Paris getroffen), Sam & Valley, Mark Stewart, Lydia Lunch (Sie hat mich mal geküßt), Pan-Sonic (Wir machen eine EP mit ihnen) und Super- Collider.

Sandra: Es ist natürlich schwierig zu sagen, was „weiblich“ ist. Ich empfinde es als feministisch; das, was ich als „Weiblichkeit“ definiere, nicht zu verleugnen, sondern bis zu einem gewissen Grad offen auszuleben. Finde es dann aber auch wieder wichtig, mit den Klischees von „Weiblichkeit“ zu brechen. Das ist ein Balanceakt, der Spass macht.

Bernadette: Als ich mit meiner Band angefangen habe, wollte ich alles andere als weiblich sein, ich trug Fußball T-Shirts ohne BH, es war mir scheißegal, ob mich jemand attraktiv fand oder nicht. Seitdem ein männlicher Journalist über mich schrieb, daß ich ohne BH über die Bühne springe, so daß die Frauen im Publikum Phantomschmerzen haben, (wobei ich denke, daß er derjenige mit den Schmerzen war), kaufte ich meinen ersten BH. Musik ist für mich sehr körperlich, und ich gehe sehr offensiv damit um, weil ich sonst innerlich vertrockne.

Katrin: Remember - Freiheit ist ein junger Mann! (Zitat Achinger 1993) jung, ungebunden und liquide haha. Und very busy. Und very cool. Und schnell. Wenn ich mir das neue Frauenbild angucke, dann gehöre ich lieber zu den Schwachen und Häßlichen, den Langsamen, den Langweiligen, den Einsamen. den Unfitten, den Versagern. Es gehört mehr Mut dazu eigene Wege zu gehen. Und ich bin schon ne weile nicht mehr jung, habe mich bewußt entschieden mich an meine Kinder zu binden, und die sind nicht schnell sondern zeitaufwendig.

Alex: Wenn ich mein Bühnen Outfit mache, möchte ich mich sexy fühlen und für das Publikum sexy aussehen. Ich fühle mich gut dabei und man kann wirklich Spaß haben mit der Idee von Sex auf der Bühne. Seht Euch Peaches an!

Sandra: Es gibt für unsere Arbeit als Band nichts wichtigeres als die Freundschaft untereinander. Und ich finde es auch unerlässlich mit anderen Künstlerinnen befreundet zu sein und gemeinsame Sachen zu machen. Ausserdem ist es die Rettung vor Isolation und macht total Spass, Teil einer Mädchengang zu sein.

Bernadette: Weibliche Solidarität, sich aneinander messen und sich gegenseitig unterstützen zählt zu den wichtigsten Sachen in meinem Leben. Und trotzdem ist es gut, auch mit Männern zu arbeiten, um zu merken, daß das auch nicht alle machistische Aliens sind. Ich möchte inspirieren und inspiriert werden, letztlich spielt das Geschlecht dabei keine Rolle, nur Männer leben ja schon seit Jahrhunderten in männlichen Netzwerken, dem sollte man etwas entgegen setzen.

Melissa: Wir sind nicht schüchtern und wir sind nicht „Anti-Boy“ und wir lieben es mit anderen Frauen zu arbeiten, it’s great to spin at Le Pulp in Paris with Doki Doki Group, Killer in N.Y., Le Tigre in Europa zu präsentieren (auf dem Chicks on Speed Label) und auf unserer nächsten Platte…

Alex: Wir haben beschlossen, uns auf unserer neuen Platte mit Freundinnen und unseren weiblichen Helden der Musikwelt zusammen zu tun. Wir arbeiten an der Cover Version eines Stückes von Tom Tom Club, also haben wir Frauen aus der ganzen Welt eingeladen, sich ihre Lieblingszeilen auszusuchen und uns ihre Vocal Takes zu senden. Wir werden einen riesengroßen Chor aus freaking out women aufnehmen, die singen: „ah yiah yeah, yipee yaih yiah yeah, ah oooh ahhh ohhh ahh iii kii chi!“ Wir sehen in den Chicks on Speed mehr als nur uns drei, wir sehen es als „the modern day definition of feminism!“ Yes, it’s a women’s movement!

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