satt.org, Oktober 2005 | Von Christina Mohr
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Bernadette La Hengst, Ex-Huah!, Ex-Die-Braut-Haut-Ins-Auge, hat drei Jahre nach „Der beste Augenblick in Deinem Leben“ eine neue Platte gemacht: „La Beat“ heißt sie und ist wie das Vorgängeralbum eine prallgefüllte Wundertüte mit feministischem Gedankengut, weltoffen, sexy und kämpferisch. Sie hat viele Freunde eingeladen, die sie singend, lachend (wie bei ‚Rockerbraut und Mutter’) und musizierend unterstützen, zum Beispiel ihre alte Braut-Kollegin Peta Devlin, Knarf Rellöm, Rhythm King & Her Friends, Mitglieder des Schwabinggrad Ballett, aber es werden auch koreanische Bauern oder indische Jugendliche gesampelt, Queens ‚Bohemian Rhapsody‘ zitiert und überhaupt ist die Welt ein Dorf, eine Trommel, die man sich umschnallt, wie es die wilde Musikerin auf dem Cover tut.
Seit kurzem ist La Hengst „Rockerbraut und Mutter“, die Erfahrung, mitten im Musikerinnendasein ein Kind zu bekommen, verarbeitet sie auf der Platte, am stärksten in dem eben erwähntem Song. „Baby, Baby, Baby“ singt Bernadette, und es ist gewiß selten in der Popmusik, dass mit diesem Wort tatsächlich ein Kleinkind gemeint ist. Aber Bernadettes Horizont hört natürlich nicht hinterm Laufstall auf, im Gegenteil – La Hengst spielt und singt sich nach wie vor um Kopf und Kragen, rockt und tanzt, stellt sich selbst und die Welt in Frage, ohne den Spaß am Leben aus dem Blick zu verlieren. Ihre Balladen wie ‚Krachgarten‘ und ‚Zug ohne Bremse‘ sind anrührend, ohne in Kitsch zu verfallen; ihr gesichertes Wissen um die Ambivalenz dieser Welt läßt sie „Du mußt wissen, was Du willst – Du mußt wissen, was Du nicht willst“ über einen groovenden Housetrack singen. Toll ist auch ‚Nie mehr vor Mittag’, ein Bekenntnis gegen das geregelte Nine-to-Five-Leben.
Aber genug des unkundigen Geredes, hier kommt La Beat selbst zu Wort:
Christina Mohr: Du seist „eine Frau mit einem Hang zur Revolution“ wurde über Dich mal geschrieben: ist das (noch) so?
Bernadette La Hengst: Das war der Versuch einer befreundeten Journalistin, einen Gegenpol zu finden zu einem Lied, was ich mal für die Braut haut ins Auge (meine Ex-Band) geschrieben habe: Ein Mann mit Hang zur Depression. Als Gegenentwurf dazu trifft es schon immer noch zu, weil mir viele männliche Künstlerentwürfe zu selbstbezogen und distanzlos zu sich selbst erscheinen. Da bin ich dann lieber die Frau mit Hang zur Revolution.
CM: Ich habe nochmal Dein Interview mit Astrid Vits gelesen (Du und viele von Deinen Freunden, Schwarzkopf & Schwarzkopf), damals warst Du gerade schwanger. Wie ist es jetzt für Dich, als „Rockerbraut und Mutter“, weiterhin Musik zu machen? Was hat sich verändert, was ist wichtig, was nicht (mehr)?
BH: Für viele Dinge, die ich vorher gemacht habe, bleibt mir einfach keine Zeit, aber manchmal frage ich mich, was ich eigentlich wirklich davor mit der Zeit gemacht habe. Abgesehen von Musik (für die ja immer noch Zeit habe), war ich natürlich wie die meisten „Bohemians“ zwischen 20 und 50 nächtelang in Bars und habe wichtig vor mich hingequatscht. Dabei lernt man zwar auch viele Leute kennen, aber man vergißt auch einige wieder, der alkoholgetränkte Gedächtnisschwund ist schon enorm. Ich muß mich jetzt mehr darauf konzentrieren, was wirklich wichtig für mich und mein Leben ist, und das läßt die ganze Katerzeit verschwindend klein werden. Dadurch fängt man auf einmal an, sich für Häuser auf dem Land zu interessieren, die man sich eventuell mit anderen zusammen leisten könnte, weil meine Tochter auf dem Land anfängt zu hören und zu riechen. Es geht aber nicht soweit, daß ich mein Leben in der Stadt aufgeben würde, dafür brauche ich es zu sehr als Inspiration und Zeitvertreib. Ich vermisse das Lesen, aber ich vermisse niemals mein Leben vor 5 Jahren.
CM: Bringst du deine vielfältigen Aktivitäten noch unter? (Schwabinggrad Ballett, Ladyfeste, Childish Music, Deine Bookingagentur)
BH: Ich mach‘ schon seit 2001 keine Booking Agentur (B.H.Booking) mehr. Das Schwabinggrad Ballett ist ja immer ein loser Verbund gewesen, der zu bestimmten politischen Anlässen Musik und AgitProp-Theaterperformances auf der Straße gemacht hat, zur Zeit gibt es anscheinend keinen zwingenden Grund für das Ballett auf die Straße zu gehen, aber ich hoffe, wir kommen bald wieder zusammen. Dafür gibt es die erste CD bei Staubgold, und die ist meiner Meinung nach wirklich besonders und auf eine gelungene undogmatische Weise die politischste und poetischste Platte, bei der ich mitgewirkt habe. Für die Childish Music Compilation (auch bei Staubgold erschienen), die mein Freund Ekkehard Ehlers zusammen gestellt hat, hab ich ein Lied aufgenommen, das auch auf meiner neuen CD ist: Bernadette La Hengst meets Cybermohalla. Dafür habe ich einen Chor von 10 indischen Jugendlichen aufgenommen, die 2003 in Hamburg bei einem Festival Geschichten über Delhi erzählt haben, und die ich dort kennengelernt habe.
Dieser Augenblick der Faszination, des genauen Hinschauens auf eine fremde Kultur, von beiden Seiten, ist glaube ich, ganz schön auf dem Lied dokumentiert, ich weiß bis heute nicht, wovon die Texte handeln, denn es ist in Hindi, und die CDs, die ich nach Indien geschickt habe, sind leider noch nicht angekommen.
Mein großes Ladyfest Hopping war 2003, im Moment hab ich das Gefühl, ich brauche diese Art von feministischem Zusammenschluß nicht mehr, es ist zwar immer schön, Musikerinnen auf der Bühne zu sehen und weibliche Kunst kennenzulernen, aber es gibt so viele Möglichkeiten, dem Feminismus eine Form zu geben, Netzwerke zu bilden, Selbstverständlichkeiten zu schaffen, es muß nicht Ladyfest heißen. Ich möchte ein solches Festival nicht zweimal machen (organisieren, wie 2003 in Hamburg), und ich sehe trotz der weltweiten Verbreitung die Gefahr, daß es zu einem Ghetto wird, daß es doch wieder Frauenmusik für Frauen ist, und das ist mir zu eng.
CM: Welche Musik mag Deine Tochter Ella Mae?
BH: Sie hat eine Affinität zu Bob Dylan, glaube ich bemerkt zu haben. Die Art von Einton-Mundharmonika-Solo spricht sie an. Ansonsten war sie vor kurzem auf ihrem ersten Bernadette-La-Hengst-Konzert und hat in der ersten Reihe getanzt und mit dem Kopf geschüttelt, was immer das auch heißen mag. Sie ist bis jetzt eher Rock’n‘Roll als Techno. Aber ihr Vater spielt ihr viel experimentelles Zeug vor und das mag sie auch.
CM: In dem Stück Copy me, I want to travel wird ein Computervirus zum Sinnbild für Freiheit in Beziehungen – wie kamst Du darauf, diese Themen zu verbinden?
BH: Das Stück ist schon sehr weitläufig. Ich denke, daß Lieder vielleicht am besten sind, wenn man sie in fünf Jahren nochmal komplett anders interpretieren kann, also, wenn ich mich selbst über das eigene Stück wundere, wenn es wandert, reist, womit wir beim Thema sind. Es geht um Ideen an sich, das Stück spricht über sich selbst, und nicht über mich oder meine Beziehung zu jemandem, obwohl es sich auch so verhalten kann. Es geht um die Einengung des Freiheitsdranges von geistigem Allgemeingut, „kollektiver Volksweisheit“ sozusagen, die privatisiert, also eingefangen wird. Damit meine ich sowohl Urheberrecht von Musik oder Software als auch von pflanzlichen Wirkstoffen oder Natur. Das ist ein schweres Thema, dem ich mit einem „einfachen“ Slogan auf die Schliche kommen wollte, wobei der Slogan von Rhythm King & Her Friends entliehen ist, die ihn wiederum von einer bulgarischen Internethackerin aus den 80ern entliehen haben, die weltweit ihr Betriebssytem und einen Virus mit dem Titel „Copy me, I want to travel“ verbreiten wollte. In dem Lied ist auch noch ein Sample von koreanischen Bauern auf einer WTO-Demonstration enthalten, die u.a. wegen solcher Themen auf die Straße gegangen sind. Man muß das alles nicht wissen, um das Lied zu verstehen, denn es ist auch ein sexy R`n`La`Beat-Stück, aber es macht auch Spaß, sich damit zu beschäftigen, hoffe ich.
CM: Deine letzte Platte war von Deinem Portugal-Aufenthalt beeinflußt, auch auf der neuen Platte geht es häufig ums Reisen und Unterwegssein, Bewegung ist eins Deiner zentralen Themen (siehe auch Wir bleiben in Bewegung auf Der beste Augenblick…) – „belastet“ Dich Deine Rastlosigkeit oder ist das Voraussetzung für Dich, um zu kreativ sein?
BH: Ich glaube, ich kann mir das nicht aussuchen, ob ich rastlos bin oder nicht, ich kann nur entscheiden, ob ich darüber verweifle oder nicht, und ich hab‘ mich in den letzten Jahren gegen die totale Verzweiflung entschieden, was nicht heißt, daß es nicht anstrengend ist, alle zwei/drei Jahre alles in Frage zu stellen und mein Leben zu ändern. Komischerweise sind diese Phasen immer fast zeitgleich mit meinen Plattenproduktionen. Ich glaube, daß geistige Bewegung, sich und das Leben, das wir führen, in Frage zu stellen, das einzige ist, was wir tun können, um nicht Gefangene zu werden von den Erwartungen, die an uns gestellt werden. Das könnte natürlich auch der Papst sagen, und der ist ja zur Zeit gar nicht so unpopulär, aber ich glaube wirklich, daß die Sicherheit, in der wir uns wiegen, mit allen postmodernen zivilisierten Depressionen, die wir pflegen, das schlimmste Übel der westlichen Welt ist. Auf der anderen Seite habe ich ein kleines Kind, die nichts mehr braucht als Sicherheit, die ich ihr auch geben will, aber selbst sie lernt jetzt schon, daß sie nur dann glücklich ist, wenn sie sich hinauswagt in die Welt, weg von Mamis Schoß, denn in dem Wagnis liegt auch die Freiheit, etwas selber zu entscheiden. Heijeijei, das war jetzt aber philosophisch, tut mir leid, gleich kommt mal wieder ein Witz…
CM: Einer der Songs auf La Beat heißt Hunger, Stereo Total haben auch ein Lied, das so heißt – ist das ein typisches Frauenthema?
BH: Ich kenne das Lied von Stereo Total nicht, aber ich kenne das Buch „Hunger“ von Knut Hamsun, und das ist eins meiner Lieblingsbücher über Jugend und Verzweiflung, und das ist extrem männlich.
CM: Die Hamburg-Berlin-Connection: Im Moment scheint es eine Wanderbewegung von HH nach B zu geben – wo fühlst Du Dich wohler, welches Klima ist kreativer?
BH: Es war eine klare Entscheidung für mich, nach Berlin zu gehen, ich kenne Hamburg in- und auswendig, musikalisch hat es mir nichts neues mehr gegeben, die Bands, die dort jetzt angesagt sind (Kettcar, Tomte, etc.) sind mir zu langweilig und konservativ, ich war 15 Jahre dort und habe das „Dorf“ sehr genossen, aber es ist mir zu eng geworden. In Berlin habe ich im Moment mehr Möglichkeiten, ich bringe nicht nur Platten raus, sondern spiele auch Theater, mache Musik für Theater/Kunst/Performance, Hörspiele, usw. All das wäre in Hamburg so nicht passiert, allerdings vermisse ich den kollektiven Zusammenhalt, der aus einer gemeinsamen Geschichte erwächst, wie zum Beispiel beim Schwabinggrad Ballett oder im „Buttclub“ (ein Hamburger Club, in dem sich verschiedenste politische Gruppen, Künstler, Musiker, Journalisten, Aktivisten regelmäßig treffen und Veranstaltungen organisieren). Das Leben in Berlin ist vereinzelter, aber ich bin erst ein Jahr hier und hab noch viel zu entdecken.
CM: Kürzlich wurde die Huah!-Platte Was machen Huah! jetzt? wiederveröffentlicht. Wie sieht Deine Verbindung zu Knarf Rellöm aus? Die Songs Globe und Her mit der Utopie klingen so, als könnten sie auch von Knarf gespielt werden. Damit meine ich weniger, dass er Dich oder Du ihn beeinflußt, sondern dass ihr aus einem gemeinsamen Ideenpool schöpft. Kann man das so sagen?
BH: Ich werde wohl immer eine besondere Verbindung mit Knarf Rellöm haben, das ist auch schön, wenn andere das merken, denn Knarf ist für mich einer der geistreichsten und komischsten Geschöpfe in der Musikszene. Bei Her mit der Utopie hat er einen Satz gesungen, obwohl wir eigentlich viel mehr aufgenommen hatten, aber es war schwierig, weil er den Satz „Her mit der Utopie“ nicht gut fand, und versucht hat, am Ende des Liedes so HipHop-mäßig drüber zu quatschen: was meinst du denn für eine Utopie? Das kann man doch so nicht einfach sagen, etc. Das war dann doch zuviel, aber das ganze Lied ist sowieso eher wie ein Zwiegespräch zwischen me myself and I, und ich kann dir nicht wirklich erklären, wovon es handelt, außer von der offenen Frage, wer die Utopie braucht, und wie wir mit den Widersprüchen zwischen Geld, Idealen, und dem ständig schlechten Gewissen, in einer westlichen Welt geboren zu sein, leben…
CM: Stichwort I Can’t Relax in Deutschland: Du bist auch auf dem Sampler, der ja eine gute Sache ist. Aber trägt man mit dieser Platte nicht Eulen nach Athen, also kaufen nicht genau die Menschen diese Platte, die nicht mehr „überzeugt“ werden müssen.. Wie erreicht man die anderen?
BH: Ach, ich finde es letztlich schon gut, daß es so ein Statement gibt, aber es stimmt natürlich, daß man nur die erreicht, die sowieso auf der „richtigen“ Seite sind. Das macht es auch langweilig. Ich weiß nicht, ob sie „Wir sind Helden“ nicht gefragt haben oder ob sie das nicht wollten, aber ob es dann mehr Leute interessiert, ist auch fraglich. Ich hätte mir mehr Internationalität auf dem Sampler gewünscht, daß man nicht unter sich bleibt.
CM: Welche jüngeren KünstlerInnen findest Du interessant?
BH: Ich liebe Kevin Blechdom, Hanne Hukkelberg, MIA. (zumindest die Platte), und ansonsten bin ich gespannt auf meine Tour, bei der ich hoffentlich noch viele aufregende neue Bekanntschaften machen werde. Ich spiele alleine, in ein paar Städten mit Überraschungsgästen.