Bernadette La Hengst: Machinette

satt.org, April 2008 | Von Christina Mohr

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Bernadette La Hengst ist ein Phänomen in Sachen Multitasking. Alle ihre Aktivitäten aufzuzählen, ist beinah unmöglich, umso schöner ist es, dass La Hengst neben Kunst-, Hörspiel- und Theaterprojekten Zeit und Muße für ein neues Album fand. „Machinette“ heißt es und präsentiert seine Schöpferin einmal mehr als vor Ideen schier überschäumende Elektro-Soul-Chansonette.

War die Vorgängerplatte „La Beat“ fast durchgehend aus Computerrhythmen gebastelt, erklingen auf „Machinette“ mehr analoge Instrumente, die für einen warmen, satten, lebendigen Sound sorgen. Aufgenommen wurde „Machinette“ größtenteils im Studio der Krautrocklegende Hans-Joachim Irmler (Ex-Faust), der bei einigen Stücken auch an Keyboards und Synthesizer zu hören ist. Ein Blick auf die Gästeliste von „Machinette“ offenbart Bernadettes Liebe zur dicht vernetzten Gemeinschaftsarbeit: alte Bekannte wie Knarf Rellöm und Pastor Leumund sind dabei, die Aeronauten-Bläser Roman Bergamin und Roger Greipl, Schlagzeuger Jan Fride, die Ulmer Band Nufa, das Tim Isfort Orchester und viele andere gaben sich die Klinke in die Hand, um „Machinette“ zu einem wahrhaft genretranszendierenden Stil-Hybriden zu machen, der dubbige Reggaebeats genauso verträgt wie atmosphärische Trompeten und funky Beats.

„Niemals dorthin“ zum Beispiel changiert zwischen Soul und R’n’B - Vielfalt ist Trumpf auf „Machinette“ und wird doch niemals beliebig, denn alles wird zusammengehalten von Bernadettes charakteristischer Stimme, die eindringlich und intensiv und gleichzeitig so zart sein kann. Immer wieder drängelt sich der Begriff „Chanson“ nach vorne, wenn man La Hengsts Musik und Ausdrucksweise beschreiben möchte – und der wäre auch gar nicht falsch, klänge er nicht ein wenig altmodisch und angestaubt. Und das trifft auf Bernadette nun wirklich nicht zu, „Machinette“ ist aufrührerisch, angriffslustig und verwegen.

Bernadette La Hengst wehrt sich gegen allseits erwartete Nützlichkeit, Verwertbarkeit, den Marktwert von Menschen. Gleich im ersten Song wird zu „Freiheit ohne Sicherheit“ angestiftet, der außergewöhnliche Track „Der Grüne Halsbandsittich“ thematisiert die Globalisierungsproblematik aus der Sichtweise von Vögeln, bei „Das Echo unserer Eltern“ fungieren Senioren aus einem Freiburger Stift als Backgroundchor. Auf „Machinette“ widmet sich Bernadette – stärker als sonst – der Liebe und dem Begehren, „Liebe ist ein Rauschgeschäft, sie handelt mit Emotionalien“ sprachspielt La Hengst, sehnt sich in „Süße Gefangenschaft“ nach „sweet bondage“ und fordert eine „Liebesrebellion“.

Liebe und Sex sind aber nicht alles im Leben, und so heißt es in „Haare zu Berge“ schlicht, einfach und politpunkrockig „mißtrau’ der Tagesschau!“ „Machinette“ verkabelt und verbandelt, verwirrt und klärt auf, polarisiert und problematisiert, stachelt an und begehrt auf – die beste Freundin also, die man in diesen Zeiten haben kann.

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satt.org: Wer oder was ist Machinette? Dein alter ego, eine Kunstfigur, eine Superheldin?

Bernadette La Hengst: Machinette ist meine beste Freundin, die wie ein Filter oder Durchlauferhitzer dauernd Ideen, Visionen und Diskussionen aus der ganzen Welt aufschnappt, sich damit beschäftigt, mir dann zuträgt, und dazu überredet, sie in einen Popsong umzusetzen. Außerdem kommt sie ursprünglich aus Bayern, hat sie mir neulich gestanden und hat sich diesen Namen als eine widerborstige bayerische Verweigerungshaltung zugelegt.

satt.org: Die Senioren aus dem Freiburger Stift – mußtest Du viel Vorarbeit leisten, damit sie mitmachen? Oder ging das reibungslos? Wie gefiel ihnen Deine Musik, die Texte? (kannst du eventuell noch was zu dem Seniorenprojekt erzählen? Und ist es nicht ein bisschen gemein, alte Leute zu befragen, wie sie sich eine Zukunft vorstellen, die sie garantiert nicht mehr erleben werden?)

Bernadette La Hengst: Es ging ja gerade darum, mit der Vorstellung zu brechen, daß alte Menschen immer nur aus der Vergangenheit erzählen, weil sie keine Zukunft mehr haben. Dabei spielt natürlich der Nützlichkeitsgedanke eine große Rolle. Alle reden im Moment von der deutschen Kinderlosigkeit, und der neue konservative Feminismus um Ursula von der Leyen ist zutiefst besorgt, daß uns die gut ausgebildeten Frauen in der Wirtschaft abhanden kommen, wenn der Staat ihnen nicht genug Kitaplätze garantiert. Von den alten Menschen wird weniger gesprochen, weil sie anscheinend für unsere Gesellschaft keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen.

Unser Projekt sollte eine Möglichkeit schaffen, alte Menschen zu Wort kommen zu lassen, ihre Vorstellungen von der Zukunft zu präsentieren, und zwar nicht als Sozialprojekt, sondern als Kunstform, in Popsongs. Dabei war es erstaunlich, wie wenig Berührungsänste da waren, sowohl was die Auseinandersetzung mit dem Thema und damit die Textfindung betrifft als auch die musikalische Umsetzung.

Ich und Pastor Leumund (mit dem ich das temporäre Studio in dem Freiburger Stift in Zusammenarbeit mit raumlabor.de und dem Stadttheater Freiburg, gemacht habe) haben versucht, die musikalischen Vorlieben der Alten (u.a. mit einem Senioren-Salonorchester) mit elektronischen Beats zusammen zu bringen, aber auch Lieder mit Geräuschen/improvisierten Klängen und gesprochenen Texten. Es war also sehr vielfältig, und ist genau in dieser individuellen Vielfalt auch ein Ergebnis, nämlich jeden einelnen Menschen wahr zu nehmen, anstatt sie als eine homogene Gruppe aus dem Altersheim über einen Kamm zu scheren. Die älteste Dame war 95 Jahre, und es war wirklich sehr erstaunlich, wie sehr sie sich dabei engagiert hat, einen eigenen Text zu schreiben und mit uns im Theater aufzutreten.

Mein Lied “Wir sind das Echo unserer Eltern” war dabei eher ein Nebenprodukt. Ich hatte den Text schon vorher geschrieben, und da war es einfach sinnvoll, daß sie den Refrain singen würden, der dadurch nochmal eine ganz andere Ebene bekommt, weil sich die Länge des Echos/der Zeit durch das Alter der Sängerinnen verschiebt. In dem Lied geht es ja sowohl um die positive Erkenntnis, eingebunden zu sein in die biographische Geschichte, als auch die Schwieirgkeit, davon loszukommen, also im Echo, bzw. Feedback der Geschichte gefangen zu sein. “Ich kann mich nicht abnabeln, aber ich kann mich neu verkabeln”. Dabei funktionierte der Seniorinnenchor wie eine Girlgroup-Backingband, sowieso erstaunlich, wie sie von Tag zu Tag in unseren Augen immer jünger wurden, je näher wir uns kennenlernten.

satt.org: Du hast ein Album mit Musik für Kinder gemacht, arbeitest mit Senioren – was reizt dich an solchen generationsübergreifenden Projekten? Ist dir das Popgeschäft zu eingeschränkt jugendkultig?

Bernadette La Hengst: Ach, irgendwie interessiere ich mich immer mehr für andere Dinge als die reine Popkultur, das liegt wohl auch daran, daß man von Popmusik alleine nicht mehr leben kann, aber auch, weil mir das Arbeiten in anderen Kunstsparten wie Theater, Hörspiel, Kunst/Performance oder Architektur die Sichtweise auf das Leben und damit auf die Kunst erweitert. Dabei sind mir in erster Linie die Menschen wichtig, mit denen ich zusammen arbeite, und da tauchen mittlerweile immer öfter Nicht-Musiker auf, die sich eigentlich für ganz andere Dinge interessieren, dabei sind oft die grundsätzlichen Auseinandersetzungen sehr ähnlich.

satt.org: Die aktuelle Debatte um neuen, alten, modernen Feminismus: verfolgst du sie? Kennst du das Buch der „Alphamädchen“ oder „Neue Deutsche Mädchen“ von Hensel/Raether? Findest du es gut, dass sich junge Frauen (endlich) zu Wort melden oder gehen dir die „Mädchen“ eher auf den Wecker?

Bernadette La Hengst: Natürlich geht die mediale Auseinandersetzung damit nicht an mir vorbei, aber es interessiert mich im Moment persönlich nicht so sehr, das Thema spielt auf meiner neuen Platte auch so gut wie keine Rolle, es geht mir eher um die Auseinandersetzung mit allen Geschlechtern, sich in dieser provisorischen unsicheren, von wirtschaftlicher Nützlichkeit getriebenen Welt zurecht zu finden. Muss mich aber damit auseinander setzen, denn ich werde in Interviews zu meiner neuen Platte natürlich dazu befragt (wie jetzt gerade). Habe gerade einen Artikel für Spiegel Online geschrieben, in dem ich dazu Stellung nehmen sollte, was ich schwierig fand, weil ich ungern aus journalistischer Perspektive schreibe und andere runtermache.

Dann sollte ich für den Tagesspiegel ein Interview zusammen mit Lucy van Org (deren neue Platte „Übermutter“ heißt und mich künstlerisch überhaupt nicht interessiert) geben, wo es natürlich um unsere Rolle als „Rockerbraut & Mutter“ gehen sollte, was ich aber abgesagt habe, weil ich mich nicht darauf reduzieren lassen möchte. Das Buch „AlphamädchenW habe ich dann sogar fast durchgelesen, fands ganz gut, hab teilweise wirklich was gelernt und ich mag den Schwung und Humor, in dem es geschrieben ist. Obwohl man ihnen vorwirft, daß die Gender-Forschung da schon viel weiter ware und ihre Thesen “so einen Damenbart” haben, finde ich es gut recherchiert und notwendig.

Ich hab allerdings in den letzten Jahren schon so viel darüber geredet, daß ich mich manchmal frage, ob ich nicht für die nächsten zehn Jahre einfach die Schnauz‘ halten sollte und das Thema aus meinen Interviews raushalte …

satt.org: Du engagierst dich sehr stark im politischen Bereich, viel mehr und expliziter als andere Musiker. Würdest du dich selbst als politische Aktivistin bezeichnen?

Bernadette La Hengst: Was ist eigentlich politisch? Ich weiß nicht, ob das alles so stimmt. Ich beschäftige mich mit dem Leben, ich hab immer mehr das Gefühl, das Leben, also auch politische Diskussionen in meine Kunst mit einbeziehen zu müssen, aber das sollte ja grundsätzlich alle gute/interessante Kunst.

Der Unterschied von Popmusik zu anderen Kunstformen ist vielleicht, daß es im Pop weniger Widersprüche gibt, das Publikum will sich identifizieren, man will sich in die Musik hineinschmeißen, sie soll Gefühle und Herzen öffnen, versöhnen oder bestätigen in einem großen diffusen Wir-Gefühl und keine wirklichen Diskussionen anzetteln. In anderen Genres wie Theater, Literatur oder bildender Kunst kann man mehr in die Tiefe gehen, und auch das Publikum ist es gewohnt, mehr zu hinterfragen.

Grundsätzlich zu deiner Frage: Ja, ich bin gerne aktiv und fühle mich als politischer Mensch.

satt.org: „Der grüne Halsbandsittich“ geht weit über das hinaus, was man so Popsong nennt – was war dir daran so wichtig? Wirst du diesen Track auch live spielen?

Bernadette La Hengst: Ich wurde von dem holländischen Architekten/Künstler Ton Matton zu dem Lied inspiriert. Er erzählte mir die Geschichte von den beiden Vögeln (dem Gewinner und dem Verlierer des Klimawandels), und ich überlegte, wie ich aus dieser interessanten Geschichte einen Popsong machen könnte. Ich entschied mich dann dafür, aus der Vogelperspektive zu singen und am Ende die Frage zu stellen: „Ihr verdient doch euer Geld auch mit Emissionenhandel, also warum soll ich nicht Gewinner sein von eurem Klimawandel?“

Das Thema ist eigentlich schon so ausgelutscht, spätestens seit Al Gores Kampagne, daß man das Wort nicht mehr hören kann, aber es hat mich gereizt, aus der Sichtweise von Vögeln zu singen, die diese Geschichte ganz anders erzählen als Menschen und dennoch ganz menschliche Eigenschaften in sich tragen, und außerdem den Emissionenhandel mit ins Spiel zu bringen. Wir haben dazu einen Video gedreht, auch in einer englischen Version („The rose ringed Parakeet“), das wir am letzten Wochenende bei einer Ausstellung von Ton Matton in einer Architekturgalerie in London gezeigt haben. Da habe ich auch gespielt, und fand es wieder mal erstaunlich, wie wenig verschiedene Kunstformen bisher miteinander zu tun haben, obwohl sie sich alle mit der Welt beschäftigen.

Aber keine Angst, ich werde jetzt nicht in die Architekturwelt eintauchen, es ist nur ein Nebenprodukt meiner vielen umherschwirrenden Gedankenstränge …

satt.org: Du gehst mit Fettes Brot auf Tour - wie kam das zustande?

Bernadette La Hengst: Ich singe auf der neuen Fettes Brot-Platte „Strom und Drang“ das Duett „Das allererste Mal“ zusammen mit Doctor Renz. Ich finde das Lied sehr gelungen, ist ein echter Soulpunk-Feger. Die Jungs sind humorvoll und charmant, und ich mag die neue Platte sehr gern, extrem abwechslungsreich und das Gegenteil von dem eitlen Machogereime ihrer Berliner Kollegen.

Außerdem finde ich es gut, endlich mal von HipHoppern angefragt zu werden, die verschiedenen Musikszenen sind einfach immer noch zu abgetrennt voneinander, wir haben schliesslich fünfzehn Jahre in derselben Stadt (Hamburg) gewohnt, und jetzt, wo ich in Berlin wohne, lernen wir uns erst kennen, ist doch komisch …

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