Zu dieser Ideologiekritik kann man tanzen

Review zu „Machinette“

Junge Welt, 21. Mai 2008 | Von Reinhard Jellen

Das Problem der Gegenwart besteht unter anderem darin, daß sie noch nie das war, was sie meint, zu sein. Ihre Zukunft ergründet sich in Vergessenheit. Auf diesem Weg begleitet uns eine der liebsten Freundinnen, die Kunst. Diese dient der Revolu­tion, indem sie uns von bürgerlichen und linksradikalen Illusionen befreit oder und Mut für die richtige Sache macht. Und dann gibt es noch eine Kunst, die dazwischen liegt: Es ist die neue CD „Machinette“ von Bernadette La Hengst, die recht poppig, eklektizistisch, soulig, dubbig und überhaupt groovig daherkommt.

Das Wesen des Menschen ist diesem nicht vorgegeben, sondern Resultat dessen, wozu er sich selbst macht. In der Tat ist der Mensch der Bildungsprozeß des Menschen, und die Kunst zeigt nicht so sehr, was der Mensch als Objekt ist, sondern vor allen Dingen, was der Mensch als Subjekt sein kann und welche Möglichkeiten in ihm schlummern.

Sie zeigt also den Menschen nicht nur als Produkt der Umstände, sondern auch, daß diese durch ihn veränderbar sind. Im Bereich des Ästhetischen ist Affirmation gleichbedeutend mit Kritik und „Machinette“ ist ein Musterbeispiel für diese subversive Schönheit. Bernadette La Hengst (die unlängst mit „Tonangeberei“ einen Sampler mit Kinderliedern zusammengestellt hat) braucht also längst nicht mehr vordergründig kritisch zu sein, um kritisch zu sein, ein Umstand, der uns sehr zupaß kommt, weil sie ohnehin kritisch ist. So sind auch die Liebeslieder auf dieser CD weniger Manifestationen einer subjektiven Sehnsucht, sondern Teil einer allgemeineren Sicht auf die Welt.

Bernadette La Hengst knackt Klischees in Widersprüche auf und zeigt, daß in der nur allzu bekannten langweiligen Form ein richtiger Kern zu finden ist, der wieder vergessen wurde und heutzutage einer wichtigen Erkenntnis gleichkommt. Die Begriffshülsen „Freiheit“ und „Sicherheit“ wendet die Künstlerin z.B. auf sich, untersucht sie zu Zeiten des Prekariats auf deren Realitätsgehalt und klopft sie auf etwaige Widersprüche und Ambivalenzen ab. Das Ergebnis ist eine Ideologiekritik, zu der man tanzen kann.

Mit dem uplifting Synthie-Pop-Kracher „Niemals dorthin“ beschämt La Hengst die Pet Shop Boys, die doch die unbestrittenen Meister des Genres sind. Das „Populistische Paradies“ ist für ein Theaterstück geschrieben worden: Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Linda ist sie im Paradies gelandet, wo anscheinend der Groove von George Clinton regiert. Der Text hingegen weist eine eindeutige Diesseits­orientierung auf: „Ich will nicht sterben müssen / um zu merken, was mir fehlt / Ich will vor meiner Beerdigung wissen, was in meinem Leben zählt / Und auch wenn ich es nicht kriegen kann, kann ich es immer noch wollen.“

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant hat am Anfang der Warenwirtschaft die Liebe als den wechselseitigen Tausch von Geschlechtseigenschaften zum Zweck, mit dem Ehestand die bürgerliche Gesellschaft zu konstituieren, definiert. Zirka dreihundert Jahre später hat nun Bernadette La Hengst an deren Ende mit „Liebe ist ein Tauschgeschäft“ die nicht mehr ganz so kalkulatorisch-nüchterne eher gebrauchswertorientierte northernsoulbeschwingte reizende Antwort darauf abgeliefert.

„Kill your idols“, diesen sehr vernünftigen Vorschlag für alle Fans von Wolfgang Schäuble und Joseph Fischer und andere Anhänger der Sozialdemokratie unterbreitet gleichgenanntes Lied mit sehr entspanntem Südseeflair. Beim von Wolf Dieter Brinkmann inspirierten „Züge spielen“ sind laut Auskunft der Künstlerin Küchengeräte zum Einsatz gekommen. Hört man nicht. Dafür vernimmt man einen wunderschönen Gesangspart, der sich schwerlich auf nur einen Sinn festnageln ließe und einen Sprechteil, der zirkulär, wahr und konkret ist.

Wir brauchen keine Priester, sondern Prediger. Einer von denen ist Pastor Leumund, dadaistischer Dichter und Vorsteher einer konfessionslosen Kirche, der ab und an mit einer Harfinistin rappt. Sein Manifest „Haare zu Berge“ beglückt uns am Ende mit einigen paradoxen Wahrheiten und La Hengst mit einer gelungenen musikalischen Improvisa­tion: „Auch wenn wir Ricula-Brokkoli noch nicht kaufen können: Der Vorgeschmack ist da!“

Kurzum: „Machinette“ ist Musik, die einen erinnert, am Leben zu sein, uns in die Welt hinausführt und uns ermuntert, diese in der einzig ihr gebührenden Weise zu grüßen: Den Daumen an der Nase, die Finger gespreizt. Revolutionen beginnen immer im Kleinen. Vor allem, wenn es nicht die großen sind.

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