Ich steh nicht auf die neue Gefühligkeit

Politisch, poetisch und wortgewaltiger denn je: »Machinette«, die neue Platte von Bernadette La Hengst

derstandard.at, 9. Juni 2008

Bernadette La Hengst hätte eine fantastische Parolenschreiberin werden können, die von der feministischen bis zur wöchentlichen Gewerkschaftsdemo die Marschierenden am laufenden Meter mit unverbrauchten, treffenden und skandierbaren Parolen versorgt … wäre sie nicht der Massenlinkshaltung in Menschenmassenzügen gegenüber skeptisch und würde sie sich nicht gegen Platitüden ebenso verwehren wie gegen Heilsversprechungen: Kill your idols!, mit Dank an Phillip Boa.

Wie kompliziert darf denn das Paradies sein?

Die Untiefen des Sloganismus - Misstrau der Tagesschau! - in einem ohnehin schon an Absurditäten reichen politischen Diskurs lässt das Abschlussstück „Haare zu Berge (wir zieh’n fallera)“ Revue passieren: ‚Hallo, ich sollte doch die breite Masse bedienen. Seid ihr breit genug?‘ - ‚Jaaaa!!!‘ - ‚Dann präsentiert das Geweih!’. Ein Stück dichterischer Komplexität über die nicht minder unübersichtliche realpolitische, mündend in einen Ausruf der Hilflosigkeit: Aber es muss doch einen Weg geben!?

… und nicht das einzige Stück mit annäherndem Hörspielcharakter auf „Machinette“. Immer wieder baut die Wahlhamburgerin auf ihrem nach „Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen“ (2002) und „La Beat“ (2005) dritten Solo-Album Sprechteile und Dialoge ein: Sei es dass sie in HipHop-Manier mal kurz die Bassline anspricht oder auch gleich komplett die Pop-Form aufbricht, etwa wenn sie in „Der grüne Halsbandsittich“ mit elektronisch verzerrter Stimme zwei Vogelspezies zu Wort kommen lässt: eine als Verlierer, eine als Gewinner des Klimawandels - the winner takes it all tönt es danach in einer noisigen Variante des alten ABBA-Refrains. Nicht weniger als zauberhaft schließlich „Das Echo unserer Eltern“, ein Stück, das - ähnlich wie „Züge spielen“ - die Kontinuitäten des Lebens thematisiert und mit einem Rentnerinnen-Backgroundchor aus Mitgliedern des Seniorenstifts Freiburg aufwartet: Nebenprodukt eines Theaterprojekts zum Thema „Wie stellen wir uns die Zukunft vor?“, das La Hengst ganz bewusst mit älteren Menschen durchführte.

Nein, ich steh nicht auf die neue Gefühligkeit

Mit der Thematisierung all dessen, was nicht geht, zielt die 40-Jährige auf die Generation(en) der Gegenwart ab: Zu vorsichtig (und vielleicht sogar zu klug geworden), um einfachen Sinnstiftungsversuchen zu folgen - und zugleich zu faul, um selbst komplexere auszuarbeiten. Rückzug ins Persönlichste kann nicht die Antwort sein: „Machinette“ enthält zwar einige Liebeslieder, doch wird die Untrennbarkeit politischer und privater Lebensbereiche illustriert, indem sich La Hengst der Semantik der Wirtschaft („Liebe ist ein Tauschgeschäft“) oder der Politik („Liebesrebellion“) bedient und diese pro Song in Reihen von Metaphern konsequent durchzieht. Nichtsdestotrotz klingt das geflüsterte Ich plane eine Attentat, doch nicht auf Kirche oder Staat - sondern auf dich, Baby. Komm, wach auf! phänomenal romantisch …

La Hengst ist, bleibt man in Deutschland, eine Liedkünstlerin ähnlichen Formats wie Hildegard Knef (sogar eines ihrer erklärten Vorbilder) oder Nina Hagen: nicht an ein spezielles Genre gebunden, im steten Wandel und doch sofort wiedererkennbar, weil in erster Linie sich selbst transportierend. Wobei „sich selbst“ bei einem politischen Menschen wie La Hengst natürlich die gesellschaftliche Seite neben der persönlichen niemals aus dem Blick verliert.

Ketten, die fallen, machen die schönste Musik

Musikalisch hat sie sich auf „Machinette“ nach dem Dauergroove von „La Beat“ wieder ein wenig dem Sound ihrer früheren Band Die Braut Haut Ins Auge aus den Frühzeiten der Hamburger Schule angenähert. Ein starker Bass hält die Stücke zusammen, die nicht näher bestimmbar zwischen Keyboard-Pop und Soul, Funk und Dub pendeln, in erster Linie aber eines sind: Chansons.

„Machinette“ hat zwar weder die Wucht von „Der beste Augenblick in deinem Leben“ noch die Tanzbarkeit von „La Beat“, sondern ist rein musikalisch gesehen ein wenig verplätschert - textlich allerdings hat La Hengst noch einmal zugelegt und sich längst in eine Reihe neben Große wie Peter Hein und Tom Liwa gestellt. (Josefson)

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