Liebe hat etwas Kapitalistisches

Junge Welt, 28.09.2012 | von Reinhard Jellen

Das Große im Kleinen und umgekehrt. Über Politik und Gefühl und das neue Album »Integrier mich, Baby«. Ein Gespräch mit Bernadette La Hengst

Bernadette La Hengst ist Sängerin, Komponistin und Theatermacherin. Und die einzige deutsche Soulsängerin
Selber schuld, Frau la Hengst: Wenn man politische Lieder schreibt, wird man als erstes gefragt: Warum machen Sie politische Kunst?
Ich habe mich dahin entwickelt. Mit meiner Vorgänger-Band Die Braut Haut Ins Auge war ich nicht so offensichtlich politisch, sondern eher privat unterwegs. In erster Linie wollte ich mir alles herausnehmen, was ich wollte, so wie die Jungs das auch getan haben. Eine Art Selbstermächtigung. Aber irgendwann brauchte ich neue Inspiration, und die Welt ist nun mal die größte Inspiration. Ich habe beim Schwabinggrad-Ballett mitgearbeitet. Wir haben Hierarchien hinterfragt und künstlerische Aktionen auf die Straße getragen, um auch Gegenreaktionen zu provozieren. Das macht mir Spaß und würde nicht passieren, wenn meine Lieder nur Selbstbespiegelungen wären.
Bei Ihnen schnalzen Themen wie Globalisierung und die Frage, was ist man als Frau, Kapitalismuskritik und dann auch als prekäre Gegen-Utopie die Liebe zusammen.
Die Liebe? Bei mir funktioniert ja die Liebe immer nicht! (lacht) Die alltägliche Form von Zweisamkeit, die ganz normale Liebesbeziehung habe ich mehr als zwanzig Jahre versucht, bekomme ich aber nicht hin. Ich verliebe mich zwar oft und probiere es auch, aber ich scheitere immer an ähnlichen Sachen: An der Freiheit, an der Distanz und an der Nähe. – Und natürlich auch an utopischen Gedanken wie jemanden, den man liebt, die Freiheit zu lassen und ihn so zu lassen, wie er ist. Warum kann das nicht funktionieren? Liebe hat ja auch etwas zutiefst kapitalistisches: Jemanden besitzen, an jemandem festhalten zu wollen und ihn so hinzubiegen, daß er in das eigene Leben paßt. Das ist ja eigentlich etwas ganz Schreckliches, und trotzdem passiert es immer wieder. Jedes mal, wenn bei mir eine Liebe gescheitert ist, habe ich danach versucht sie als utopische Idee neu zu betrachten.Außerdem hat die Liebe bei mir auch etwas Theoretisches: Wie ich die Welt betrachte, das versuche ich von der Politik in das Kleine, in die Zweierbeziehung zu übertragen. Weil sich mehr Leute mit der Zweierbeziehung auskennen als mit großer Politik, weswegen man sich mehr damit identifiziert, wie ich übrigens auch. Die Liebe ist ein Bild für das Große, und wenn ich darüber schreibe, habe ich das Gefühl, ich kann es den Leuten näher bringen. Und mir auch. Meine Lieder sind ja auch Briefe an mich selbst.
Ihre neue Platte heißt »Integrier mich, Baby«.
Das ist auch das Lied zum gleichlautenden Theaterstück, das ich geschrieben habe, um die Hierarchie von Integration umzudrehen: Ich wollte für das Stück Menschen mit Migrationshintergrund haben als Lehrer, die Deutschen in einem Kurs Integration beibringen. Da fiel mir der Titel »Integrier mich, Baby« ein. Daß das auch ein guter Songtitel ist, das ist mir erst später aufgefallen. In dem Titel steckt ja alles Mögliche drin: Die Leidenschaft für Liebesbeziehungen und auch eine umgedrehte Integration, wo man nicht sagt: »Integrier dich gefälligst«, sondern »integrier mich bitte«, also »laß mich rein in dein Leben«. Denn nur so kann es funktionieren: Indem sich zwei halbe Teile zusammensetzen. So sehe ich auch die Gesellschaft.
Inwiefern hat diese Sicht etwas mit Ihnen persönlich zu tun?
Ich habe das Stück auch deswegen gemacht, weil ich mit meiner Tochter in Berlin-Mitte am Rand vom Wedding wohne. Die ehemalige Mauer existiert immer noch, und trennt jetzt zwischen Arm und Reich und zwischen deutsch und Nicht-deutsch. In der Schulfrage wird z.B. diese Mauer immer wieder neu aufgebaut. Fast alle meine Nachbarn haben ihre Kinder auf Mitte-Schulen oder auf Privatschulen geschickt, um nicht eine Wedding-Schule besuchen zu müssen. Die Migrantenkinder und die Mittelstandsdeutschen bleiben jeweils unter sich. In der Schule fängt es also schon an mit der Zweiklassengesellschaft. Auch habe ich bei einem Theaterprojekt in einem Hamburger Jugendknast die Erfahrung gemacht, daß dort die große Mehrheit aus Migrantenghettos und -vorstädten stammt. Die Integration ist also ein großes Thema für mich und deswegen habe ich auch darüber ein Theaterstück gemacht. Das alles hat mir geholfen, einen Funk-Disco-Love-Song zu schreiben. Zu dem Lied kann man erst einmal tanzen, die Aussage kommt vielleicht erst beim zweiten Hören richtig an, aber wie heißt es so schön: Move your ass und your mind will follow.
Wie sind denn überhaupt Ihre Erfahrungen mit dem Theater?
Das Theater ist für mich die Universität, an der ich nie war: Es ist ein Luxus, daß man ein halbes Jahr dafür bezahlt wird, sich ohne konkretes Ziel, einfach ins Blaue hinein mit einem speziellen Thema auseinanderzusetzen.
Es gibt Unmengen an staatlich subventionierter Kunst, wo es einem Hirn und Magen umdreht. Warum ist das bei Ihnen nicht der Fall?

Wahrscheinlich habe ich noch nicht so viel Geld bekommen, um mir leisten zu können, scheiße zu sein.
Was ist schwieriger zu schreiben: ein Popsong oder ein Theaterstück?
Wenn man keine Angst davor hat ist es gleich schwierig. Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt, daß ich so gut wie alles kann, wenn ich es mir nur zutraue. Das geht aber nicht ohne Hilfe von anderen Leuten. Ich mache ja nie Sachen ganz allein, sondern immer im Team. Man muß sich die Sachen greifen, die einen interessieren, und versuchen zu kombinieren und wenn sie sich reiben, um so besser. In dem Theaterstück »Integrier mich, Baby« habe ich viel mit Identitäten gespielt. Z.B. wurden die Geschichten der Lehrer, die aus Kolumbien, Nigeria und aus der Türkei stammen, von deutschen Schauspielern erzählt. Damit haben wir aufzubrechen versucht, daß man seine Identität nur durch sein Land festlegt. Jeder könnte die Geschichte vom anderen einnehmen. Es ist sozusagen ein ernsthaftes Spiel mit Widersprüchen.Trifft das nicht auch auf Ihre Musik zu? Sie nehmen sich Theoriefragmente und Themen, die erst einmal gar nicht sehr zueinander passen und formen daraus ein eigenes Neues?
Schön, wenn Sie das so sehen. Jeder Künstler versucht ja, seine eigene Sprache zu finden. Bei dieser Platte hatte ich das Gefühl, daß die Themen in der Luft lagen und ich sie einfach aufgegriffen habe.

Sie sind die einzige Soulsängerin Deutschlands. Dabei hören Sie doch gar nicht so viel Soul, sondern eher Randy Newman.

Ich bin aber nicht nur Randy-Newman-Fan. Ich höre z.B. auch Nina Simone, seit einem halben Jahr höre ich ganz viel aktuelle afrikanische Musik, und wirklich gerne höre ich zur Zeit den R&B- und Soulsänger Sänger Frank Ocean. Aber ich bin auch von HipHop, Chansons und Schlagern beeinflußt.

Jetzt haben Sie mit Ihrer Platte der objektiv schrecklichen Zeit ein kämpferisches und prekär-optimistisches Werk entgegengesetzt…

Ich glaube immer wieder daran, daß Krisen zu etwas gut sind. Es muß doch irgendwann die Zeit reif sein, wo man ein Experiment wagen könnte. Wie wäre es denn damit, das bedingungslose Grundeinkommen in Griechenland einzuführen? Alles Geld, was man momentan in die Rettung des Euro verpulvert, könnte man auch dafür verwenden. Es ist Zeit, Lohn und Arbeit voneinander zu entkoppeln.

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